Im Rahmen unseres internationalen Netzwerks veröffentlichen wir regelmäßig Berichte von ROLLINGPLANET-Partnern aus der ganzen Welt. Wir verzichten dabei bewusst, Themen und Texte „einzudeutschen“, indem wir nur für Deutschland relevante Teile übernehmen – ganz im Gegenteil: Wir finden andere Blickwinkel spannend.
Vor zwanzig Jahren – am 11. September (englisch: 9/11) 2001 – veränderten vier koordinierte Flugzeugentführungen mit nachfolgenden Selbstmordattentaten auf symbolkräftige zivile und militärische Gebäude in den Vereinigten Staaten von Amerika die Welt. An diesem Tag starben fast 3.000 Menschen: 256 in vier Flugzeugen, 125 im Pentagon und über 2.600 im World Trade Center. Urheber der Angriffe waren Terroristen der Al-Qaida.
Michael Benfante wurde zum Nationalhelden, weil er zusammen mit einem Kollegen eine schwerbehinderte Frau, die auf den Rollstuhl angewiesen ist, 68 Treppen hinunter und aus dem Nordturm des World Trade Centers in Sicherheit brachte, nur wenige Minuten bevor der Turm einstürzte. Seine Geschichte und die von Tina Hansen ist immer noch denkwürdig.
Keine Ruhe bewahrt

Michael Benfante (Foto: privat)
Im 81. Stock, in einem Büro mit Blick auf die Freiheitsstatue, hatte Benfante, Filialleiter bei Network Plus, gerade eine Tasse Kaffee getrunken, als einer seiner Handelsvertreter schrie: „Oh, mein Gott!“ Dann hörte er die Explosion, und plötzlich schossen Flammen an seinem Fenster vorbei, und von irgendwo oben fielen Trümmer herab. Nachdem Benfante seine 28 Mitarbeiter in seinem Büro versammelt und festgestellt hatte, dass die Aufzüge zerstört waren, befahl Benfante allen, sich ins Treppenhaus zu begeben.
Im 68. Stock bemerkte er drei Frauen, die hinter einer Glastür standen. Als er hinübereilte, um zu fragen, warum sie nicht gingen, sah er, dass neben ihnen eine Frau in einem E-Rollstuhl saß – Tina Hansen. Benfante, der als junger Mann Football und Rugby gespielt hatte, schnappte sich einen Notfallrollstuhl, setzte Tina Hansen um und schnallte sie an. Mit Hilfe eines Mitarbeiters, John Cerqueira, trug er Tina Hansen hinunter.
„Etwa im 31. Stockwerk sah ich einen Feuerwehrmann auf dem Rücken liegen, er hatte einen Herzinfarkt. Wir müssen 50, vielleicht auch 100 Feuerwehrleute passiert haben, die uns immer wieder aufforderten, Ruhe zu bewahren.“
„Eine kollektive Entscheidung“
Auch der Tetraplegiker John Abruzzo, ebenfalls E-Rollstuhlfahrer, der sich in Turm Eins des World Trade Centers befand, überlebte. Der 41-Jährige arbeitete an seinem Computer im 69. Stock, als das erste entführte Flugzeug in den Wolkenkratzer raste. „Wir hatten in vielerlei Hinsicht Glück“, erinnert er sich. Rund zehn Menschen trugen ihn zum Ausgang. „Es gab keine Debatte darüber, ob ich von ihnen gerettet werden würde oder nicht. Es war mehr oder weniger eine kollektive Entscheidung.“, sagt Abruzzo. „Wir haben anderthalb Stunden gebraucht, um 69 Stockwerke hinunter zu kommen.“ Abwechselnd drei bis vier Personen transportierten den Stuhl. John und seine Gruppe verließen den Turm und waren zehn Minuten vor dem Einsturz außer Lebensgefahr.

John Abruzzo mit einem sogenannten Evakuierungsstuhl (Foto: Evacchair)
Bereits acht Jahre zuvor – am 26. Februar 1993 – hatte es auf das World Trade Center einen Bombenanschlag gegeben. Damals starben sechs Menschen, über 1.000 wurden verletzt. Anschließend hatten die Behörden unter anderem 125 sogenannte Evakuierungsstühle gekauft, mit denen sich Rollstuhlfahrer im Falle einer Gefahr retten lassen könnten. Indes: Es gab keine spezielle Schulung, die allermeisten Mitarbeiter wussten nicht einmal, wo sich die Stühle befanden. In einem Artikel mit dem Titel „Unsichere Zuflucht – Warum starben am 11. September so viele Rollstuhlfahrer?“ erinnert sich Tina Hansen:
„Der Brandschutzdirektor (der Hafenbehörde) gab die Stühle an Mitarbeiter mit Mobilitätseinschränkungen aus. Meiner stand unter meinem Schreibtisch, und ich hatte ihn ganz vergessen. Zwei Sekretärinnen erinnerten sich und mich daran. Man geht davon aus, dass bei Hochhauskatastrophen die einzige Hoffnung eines Rollstuhlfahrers darin besteht, von Feuerwehrleuten in Sicherheit gebracht zu werden. Deshalb lautete die Anweisung, in ,sicheren Bereichen‘ zu warten, aber diese Annahme und die vorherrschenden Evakuierungsverfahren sind fehlerhaft, mit potenziell tödlichen Folgen.“
Tina und John entkamen beide mit unerfahrenen Helfern, weil sie gegen die Regeln verstießen. Die meisten Menschen mit Behinderung und ihre Kameraden taten, was ihnen aufgetragen wurde – auf Rettung warten – und starben.
Viele leiden noch unter dem 9/11-Husten
Viele Rettungskräfte und Freiwillige, die sich nach dem 11. September 2001 tage- und nächtelang am „Ground Zero“ durch Staub, Schutt, Asche und nicht identifizierbare Giftstoffe gegraben haben, um Überlebende zu finden, erlitten dauerhafte Gesundheitsschäden. Mehr als die Hälfte der Betroffenen, rund 40.000, leiden bis heute am sogenannten 9/11-Husten.
Mike Benfante war wie viele andere nach dem Einsturz des zweiten Turms durch teilweise meterhohen Staub gewankt und hatte minutenlang krebserregende Partikel eingeatmet. Er habe keine Symptome, die auf Lungenprobleme hinwiesen, erzählt er. Er hat seit dem Abstieg aus dem 81. Stockwerk allerdings immer wieder Rückenschmerzen. Tina Hansen, die ihm ihr Leben verdankt, schenke ihm immer wieder Gutscheine für lindernde Massagen.
(Aus dem Englischen übersetzt von Peter Rasch)

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