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Was macht eigentlich „Gold-Anna“ Schaffelhuber?

Deutschlands Para-Sportlerin des Jahrzehnts hat ihren Rücktritt nicht bereut und ein neues Leben entdeckt. Die bevorstehenden Paralympics in China kritisiert als „kompletten Irrsinn“. Von Holger Schmidt

Anna Schaffelhuber (hier auf dem Roten Teppich beim Sportpresseball 2018) ist inzwischen Lehrerin. Bei den am Freitag beginnenden Paralympics ist sie ARD-Expertin. (Foto: Andreas Arnold/dpa)
Anna Schaffelhuber (hier auf dem Roten Teppich beim Sportpresseball 2018) ist inzwischen Lehrerin. Bei den am Freitag beginnenden Paralympics ist sie ARD-Expertin. (Foto: Andreas Arnold/dpa)

Während der Olympischen Spielen ist Anna Schaffelhuber nachts aufgestanden, um sich die Wettkämpfe anzusehen. „Und manche Entscheidung habe ich schnell noch im Lehrerzimmer vor der ersten Stunde geschaut“, berichtet die siebenmalige Paralympicssiegerin im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Aufpassen, vor ihren Schülern einzuschlafen, musste sie nie. Schaffelhuber ging immer früh ins Bett. Sie ist halt diszipliniert.

So wurde die Monoski-Fahrerin zur „Gold-Anna“ und zu Deutschlands Para-Sportlerin des Jahrzehnts. Bei den am Freitag beginnenden Paralympics in Peking wird sich Deutschland aber nicht mehr auf seine Medaillen-Sammlerin verlassen können. Schaffelhuber ist inzwischen Lehrerin für Mathematik, Rechnungswesen und Wirtschaftsrecht an einer Realschule – und bei den Spielen in China als ARD-Expertin tätig.

Die meisten Schüler werden dann erstmals bewusst ihre Lehrerin im TV bestaunen. Bei ihren letzten Spielen – 2018 in Pyeongchang – war sie noch Studentin. Dass sie danach anders gesehen wird, sei „durchaus möglich“, sagt die 29-Jährige und lacht: „Aber der Vorteil ist: Wenn die Übertragungen laufen, sitzen sie alle in der Schule.“ Freilich habe ihr jede Klasse mitgegeben, „ich soll sie erwähnen und grüßen“.

„Aber ich wusste: Peking kommt, und da will ich nicht hin“

Doch nicht nur ihre Schüler werden Schaffelhuber während der einwöchigen Freistellung für den TV-Job vermissen, sondern vor allem die deutsche Delegation in Peking. DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher hat selbst erlebt, wie glücklich die seit 2019 auch verheiratete Schaffelhuber in ihrem neuen Leben ist. „Sie hat eine Lebensentscheidung getroffen, die man nicht nur akzeptieren muss, sondern zu bejubeln hat“, sagt er. „Sport ist nur temporär, ihr Leben ist die Schule, und sie ist glücklich da.“ Auf ihre Auftritte auf dem Bildschirm freut er sich freilich: „Sie weiß ja, wie es geht und kann von allen Finessen berichten.“

Vielleicht hätte sie sogar weitergemacht, wenn die Spiele nicht in China stattfinden würden. „Es gab Kandidaten, da hätte ich unbedingt noch mal hinfahren wollen“, sagte die von Geburt ab der Hüfte querschnittsgelähmte Athletin:

„Aber ich wusste: Peking kommt, und da will ich nicht hin. Für mich ist es kompletter Irrsinn, dass die Spiele stattfinden, wo Menschenrechte nicht geachtet werden und es drei Tage im Jahr schneit. Aber da muss man sich in Deutschland auch an die eigene Nase packen.“

Es sei „relativ leicht zu sagen, ich will die Spiele auf diese Art nicht, ich will sie dort nicht – aber ich selbst will sie auch nicht ausrichten“, sagte die frühere Monoskifahrerin: „Wenn ich die Vergabe kritisiere, dann muss ich auch sagen, dann probier ich zumindest, die Spiele wohin zu holen, wo ich sie gerne hätte. Oder ich wirke daran mit, sie nach meinen Vorstellungen zu gestalten.“

Außerdem sei es „zu leicht, alles auf die Sportler abzuwälzen mit Boykottforderungen oder ähnlichem. Stattdessen sollte sich jeder selbst hinterfragen, ob er alle Geräte aus China kaufen muss.“ Sie selbst würde sich bei einer möglichen Bewerbung auch gerne einbringen. „Ja, jederzeit“, sagte Schaffelhuber: „Ich wäre sofort bereit, in irgendeiner Art und Weise Hand anzulegen. Wie, darüber müsste man sprechen. Aber ich wäre die erste, die ja sagen würde.“

„Und was ich da für Berge gesehen habe! Die sind mir vorher nie aufgefallen“

Bereut hat sie ihren Rücktritt nie, beteuert Schaffelhuber. „Es war eine schöne Zeit. Wenn andere ins Büro sind, bin ich den Berg hinauf“, sagt die Fünffach-Siegerin von Sotschi 2014. Bei Olympia kam „schon ein kleines Sehnsuchtsgefühl zurück“. Und wenn nun die Paralympics starten, werde es sich „sicher schon ein bissel jucken. Aber man vergisst schnell das Drumherum, das dranhängt. Wenn ich daran denke, weiß ich, es war schon alles richtig so.“

Dem Rücktritt Ende 2019 folgten „zwei Jahre Komplett-Entzug“. Wegen Corona konnte sie weder Skifahren noch wie erhofft ihre früheren Kolleginnen bei einem Weltcup in Österreich oder der Schweiz besuchen. Als sie kürzlich wieder im Monoskibob saß, habe sie ein unverhofftes Glücksgefühl empfunden.

„Es war befreiend zu wissen, dass man nicht unter Dauer-Beobachtung steht und nicht jeden Schwung im Kampf um Hundertstel mitnehmen muss“,

erzählt sie: „Und was ich da für Berge gesehen habe! Die sind mir vorher nie aufgefallen. Es ist wieder mehr die Leidenschaft zurück als in den letzten Jahren.“

Nun wird sie eine derer sein, die Fehler aufzeigen. Als Lehrerin habe sie „klare Prinzipien und Regeln“, sagt sie: „Solange die eingehalten werden, bin ich locker. Werden sie nicht eingehalten, kann ich schon grantig werden.“ Fehler alter Rivalinnen oder gar Freundinnen deutlich zu benennen, werde ihr nicht leicht fallen. „Aber ich bin jemand, der Dinge ehrlich anspricht.“ Sie freue sich „wahnsinnig“ auf den neuen Job. „Ich erzähle ja quasi aus meinem Leben.“ Aus einem erfolgreichen Leben.

(RP/PM)

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