Heute gibt es eine Premiere: Erstmals zeigt eine deutsche Fernsehproduktion einen Arzt im Rollstuhl, der im wirklichen Leben tatsächlich Rollstuhlfahrer ist (ROLLINGPLANET berichtete: Schauspieler Tan Caglar: In aller Freundschaft und im Rollstuhl). Bis zum medialen Ruhm war es ein langer, teilweise steiniger Weg: Als der deutsch-türkische Künstler Tan Caglar (41) mit Mitte 20 die Diagnose erhielt, nie mehr laufen zu können, verfiel er in eine tiefe Depression. Wie er es geschafft hat, seine Ängste zu überwinden, sich selbst zu motivieren, seine Krise zu bewältigen und was seine Traumpartnerin mitbringen muss, verrät der heute erfolgreiche Schauspieler und Comedian, der demnächst auch im „Tatort“ zu sehen sein wird, im ROLLINGPLANET-Interview.
Tan Caglar: „Der Sport hat mich gerettet“
Als Neuzugang in der ARD-Erfolgsserie „In aller Freundschaft“ (immer dienstags, 21.00 Uhr im Ersten) sind Sie der erste Rollstuhlfahrer als Arzt in einer TV-Serie. Am 10. August feiern Sie Einstand als Viszeralchirurg Dr. Illay Demir in der Sachsenklinik. Gratulation! Was waren Ihre ersten Eindrücke am Set?
Ich glaube, dass sich beide Seiten, sowohl die Produktion als auch ich, vorab sehr viele Gedanken gemacht haben, wie das alles so laufen könnte. Im Endeffekt haben wir gemerkt, dass es nur Kleinigkeiten waren, die für einen barrierefreien Dreh beachtet werden mussten. So musste für einen CT-Raum eine Rampe angebracht werden, ich bekam einen herunterfahrbaren Arbeits-Stehtisch, einen befahrbaren Kleiderschrank, und natürlich musste die Höhe des OP-Tisches niedriger gestellt werden. Die Vorbereitungen waren also gar nicht so dramatisch, wie wir anfangs dachten.
Neu für mich war die Geschwindigkeit beim Drehen, wo viele Menschen koordiniert werden müssen – vom Kostümwechsel bis zum Abdrehen der einzelnen Szenen. Bei meinen Bühnenshows ist alles auf mich abgestimmt. Hier muss ich in ein Team integriert werden, ein Rädchen ins andere passen.
Aber die Chemie am Set stimmte, weil es keine Barrieren im Kopf gab, eine wunderbar familiäre Stimmung herrschte und ich sehr gut aufgenommen wurde. Deswegen habe ich mich sehr schnell gut integriert gefühlt.

Tan Caglar am Set von „In aller Freundschaft“ – bis auf der Zugang zum CT-Raum war das Set bereits ziemlich barrierefrei. (Foto: Rudolf Wernicke)
Stimmt es, dass Sie viele Gemeinsamkeiten mit Ihrer Rolle haben?
Ja, Dr. Demir ist sehr nah an mir dran. Er ist ein ehrgeiziger, selbstsicherer Typ mit großer Klappe und einem gewissen Sarkasmus. Er spielt sehr viel mit den Unsicherheiten seines Umfeldes, lässt sich von Autoritäten nicht so gerne viel sagen, kümmert sich aber auf der anderen Seite sehr herzlich um seine Patienten. Da gibt es schon starke Parallelen zu mir. Ich bin auch sehr selbstbestimmt und lasse mich ungern bevormunden.
„Als Einzelkind habe ich sehr viel Aufmerksamkeit erhalten“
Wie hat Ihre Familie Sie geprägt?
Als Einzelkind habe ich sehr viel Aufmerksamkeit von meinen Eltern erhalten – natürlich auch aufgrund meiner Behinderung. Ich war sehr weich eingepackt, und mir wurden viele Werte mitgegeben, wie Hilfsbereitschaft oder Respekt vor den Älteren. Alles Werte, die ich bis heute sehr schätze. Auch wenn mir meine Eltern mein Leben sehr leicht gemacht haben, habe ich schnell gemerkt, dass auch ein gewisser Ehrgeiz wichtig ist, um seine Ziele zu erreichen. Wenn man wie ich sozusagen aus dem Minus hochkommen musste, musste man sich erst mal bis zu einem neutralen Level hocharbeiten, damit man gleichbehandelt wurde.
Heute wohnen Sie noch immer in Ihrer Geburtsstadt Hildesheim?
Ja – dadurch, dass ich hier geboren bin, habe ich eine starke Bindung zu der Stadt. Ich mag die Idylle, und wenn ich in Großstädten wie Hamburg oder Berlin war, genieße ich die Ruhe zuhause. Ich fühle mich hier sehr wohl, und natürlich ist auch ein wichtiger Aspekt, dass meine Eltern in der Nähe wohnen, weil wir gegenseitig aufeinander achten.
Angeblich kennen Sie sich mit Krankenhäusern und Intensivstationen gut aus… An welche Erlebnisse erinnern Sie sich?
Es war schon so, dass ich als Kind häufiger beim Arzt oder im Krankenhaus war als andere. Wenn meine Freunde erzählten, dass sie auf einem neuen Spielplatz waren, antwortete ich: „…und ich war heute bei einem neuen Arzt.“ Bei mir gehörte der Arztbesuch und auf Hilfe angewiesen zu sein schon immer zur Normalität. Dementsprechend freut es mich umso mehr, jetzt selber als „Arzt“ die andere Seite kennenzulernen und anderen Menschen zu helfen. Ich kann mich also gut in meine Rolle hineinversetzen.
„Sie sollten sich mit dem Gedanken anfreunden, dass Sie jetzt Vollzeit-Rollstuhlfahrer werden“
Sie sind mit der Rückenmarkserkrankung Spina bifida geboren, Ihr Zustand verschlechterte sich zunehmend. Das heißt, Ihre Krankheit war ein schleichender Prozess?
Durch meine angeborene Rückenmarkserkrankung hat sich das Rückenmark nicht richtig geschlossen, folglich sind die Nerven nicht so gut in die Beine geflossen. Und je größer man wird, umso mehr Muskulatur muss natürlich versorgt werden. Also wurde mein Zustand mit dem Wachstum immer schlechter. Ich konnte laufen, bis ich 20 war, danach wurde ich schwächer, musste auf Krücken ausweichen, bis dass ich ab Mitte 20 immer häufiger den Rollstuhl nutzen musste, und dann gar nicht mehr ohne ihn auskam. Irgendwann hat auch der Arzt zu mir gesagt: „Sie sollten sich mit dem Gedanken anfreunden, dass Sie jetzt Vollzeit-Rollstuhlfahrer werden.“ Ich nenne das immer den „Tag R“.
Momentan ist Diversität ein großes Thema. Auch hatte sich die Produktion mehr Vielfalt im Cast gewünscht. Was ist Ihre Meinung dazu?
Das Gefährliche an einem Trend ist natürlich, dass der Trend auch schnell wieder vorbei sein kann. Und was bedeutet das dann? Ist es dann out, eine Behinderung zu haben? Das ist ja nichts, was man ablegen kann. Ich persönlich bin kein Freund davon, dass bestimmte Sachen eine Zeitlang sehr in Mode sind, und dass es dann sophisticated ist, darüber zu reden. Im Moment habe ich das Gefühl, dass auch jeder, der im Fernsehen ist, plötzlich mal Depressionen hatte bzw. es gerade angesagt ist, offen darüber zu sprechen. Da frage ich mich schon: „Warum war das vorher kein Thema?“ Deswegen fehlt mir dabei leider, um ehrlich zu sein, ein bisschen die Glaubwürdigkeit. Ich finde, damit etwas Normalität wird, muss es auch Thema sein, wenn es gerade nicht in ist.
Der Vorteil an der ganzen Sache ist natürlich, dass etwas überhaupt in Erscheinung tritt. Präsenz im Fernsehen oder in sonstigen Medien ist ja auch sehr wichtig, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Und natürlich auch die Art der Präsenz. Wenn Menschen mit Behinderungen im Fernsehen auftauchen, sind sie meistens nicht in der ausführenden Position, sondern eher in einer nebensächlichen Rolle oder als Talkshowgast eingeladen. Warum können behinderte Menschen nicht auch mal als Moderator:innen auftreten? Das muss man wirklich mal hinterfragen. Liegt es daran, dass
Behinderungen gesellschaftlich gesehen nicht repräsentativ sind oder hat das andere Gründe? Solange diese Akzeptanz noch nicht da ist, sind wir noch lange nicht da, wo wir eigentlich hin müssten. Wobei ich sagen muss, dass wir in Deutschland seit den letzten rund zehn Jahren auf einem sehr guten Weg sind. Umso glücklicher bin ich natürlich auch, dass der MDR und die Produktion von „In aller Freundschaft“ den fast schon revolutionären ersten Schritt gewagt hat und mich als ersten Arzt im Rollstuhl, noch dazu in einer sehr starken Rolle, engagiert hat. Auch empfinde ich es natürlich als Ehre, dass ich als „nicht perfekter Mensch“ 2016 bei der Berliner Fashion Week im Rollstuhl modeln durfte.

Tan Caglar arbeitet auch als Model und trat auf der Berliner Fashion Week auf. (Foto: Tomas Rodriguez)
Kamen seitdem noch mehr Model-Anfragen?
Es kommen schon immer mal wieder Anfragen. Ehrlich gesagt ist Modeln aber nicht das, was mich so sehr reizt. Bei mir stehen Comedy und Schauspiel an erster Stelle. Und da ich bei meiner Arbeit sehr auf Qualität achte, fehlt natürlich auch ein bisschen die Kapazität. Gerade Schauspiel und Comedy ist etwas, was mich stark einnimmt, worauf man sich extrem gut vorbereiten muss.
Und demnächst im „Tatort“…
Haben sich bei Ihnen weitere Rollenangebote ergeben?
Ja, tatsächlich. Im Februar habe ich zum ersten Mal einen Berliner „Tatort“ gedreht, der voraussichtlich Endes des Jahres ausgestrahlt wird. Eine tolle Erfahrung, die besonders auch meine Eltern gefreut hat, weil für sie der „Tatort“ immer die Königsklasse war. Als meine Eltern damals als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, haben sie gesagt: „In Deutschland haben wir Folgendes gelernt: Da geht man Sonntagvormittags in die Kirche, und abends läuft der „Tatort“.“ Vor allem freue ich mich, dass ich nicht das Unfallopfer spiele, sondern eine größere Rolle neben den Kommissaren Mark Waschke und Meret Becker.
Sind Sie persönlich je in gefährliche oder brenzlige Situationen geraten?
Tatsächlich, einmal. Das war ziemlich am Anfang meiner Rollstuhlbasketballkarriere, als mich zwei maskierte Jugendliche in dem Moment überfielen, als ich gerade meinen Sportrollstuhl in den Wagen gepackt hatte. Und während mich der eine Typ in Schach hielt, klaute der andere meinen Rollstuhl aus dem Kofferraum. Etwas seltsam, warum sie es ausgerechnet auf meinen Rollstuhl abgesehen hatten, mit dem sie eigentlich auch nichts anfangen konnten, weil er ein angepasstes Sportgerät und auch nicht straßentauglich war. Zumal ich auch noch weiß, dass ich mein Handy und mein Portemonnaie ziemlich ersichtlich auf der Ablage im Auto liegen hatte.
In dieser Tatort-Folge „Teufelskind“ steht eine Dating-App im Zusammenhang mit dem Mord. Sie haben selber mal verraten, dass Sie die Dating-App Tinder ausprobiert haben. Auf Ihrem Instagram Account tan_caglar gibt es dazu den ultimativen Tinder-Test ;). Verraten Sie mir Ihre Erfahrungen?
Ich hatte mich angemeldet, um herauszufinden, wie die Reaktionen sind, wenn ich kein Bild von mir im Rollstuhl zeige. Stattdessen habe ich als kleine Alibibezeichnung unter mein Profil geschrieben: „Ich bin nicht der Typ, der Frauen hinterherläuft.“ (lacht) Tatsächlich haben mich einige Frauen erkannt und entweder gedacht, die Fotos wären gefaked oder mich gefragt, ob ich so Material für meine neue Show suche. Mir wurde nicht so richtig abgenommen, dass ich tatsächlich auf Partnersuche war. Insgesamt fand ich die Reaktionen eigentlich ganz witzig und habe durchaus positive Erfahrungen gemacht.
…und, hat sich was ergeben?
Ich habe die App nicht so intensiv genutzt und lerne tatsächlich auch im Alltag viele Menschen kennen, so dass ich mich bei Tinder noch nicht zu einem Dating durchgerungen habe.
Sie sind ja sehr vielseitig: Neben der Schauspielerei und Comedy haben Sie Ihre Autobiographie „Rollt bei mir“ geschrieben, als Moderator, Model und als Motivationstrainer in Firmen, Verbänden und Schulen gearbeitet. Stimmt es, dass Sie im Zuge Ihrer Seminare Ihr Talent als Comedian entdeckt haben und sich 2017 dazu entschlossen haben, Stand-up-Comedian zu werden?
Bei meinen Seminaren habe ich tatsächlich festgestellt, dass die Zuhörer häufig gelacht haben, wenn ich lustige Sachen erzählt habe, und mir das unheimlich Spaß gemacht und auch viel gegeben hat. Wenn man vor Leuten spricht und Lacher erntet, dann macht das Lust auf mehr. Auch nachdem Menschen nach dem Seminar auf mich zukamen und meinten: „Das war ja wie Comedy“, ist die Idee für eine Comedyshow gewachsen. Inzwischen kann ich ja glücklicherweise auch bald wieder mit meinem zweiten Programm „Geht nicht, gibt’s nicht“ auftreten.
Haben Sie selber einen Lieblings-Komiker?
Ich bin ein großer Bülent Ceylan-Fan, der auch privat ein sehr sympathischer Mensch ist – was sicher auch zu seiner Beliebtheit beiträgt. Ansonsten bin ich da sehr Old School und bis heute ein großer Fan von Otto Waalkes. Solche Typen sind heute sehr selten, und viele Gags sind leider ziemlich beliebig geworden.
„Wer nicht einstecken kann, sollte auch nicht austeilen“
In Ihren Shows nehmen Sie sich gerne auch mal selbst auf die Schippe – nach dem Motto: Selbstironie statt Selbstmitleid?
Ich glaube, man kann generell nicht witzig sein, wenn man nicht über sich selbst lachen kann. Wer nicht einstecken kann, sollte auch nicht austeilen. Comedy bedeutet auch gerne einmal, ein bisschen das Opfer der Gesellschaft zu sein. Das muss man nur gut rüberbringen. Und da ich selber im Rollstuhl sitze, liegt es natürlich nahe, dieses auch in meinen Gags zu thematisieren – weil ich selber mein bestes Beispiel bin. Natürlich muss man dabei einen guten Mittelweg finden, weder zu sehr übertreiben noch in Selbstmitleid verfallen.
Apropos Selbstmitleid. Wie ging es Ihnen nach dem besagten „Tag R“? Ziemlich heftig, für einen Mann Mitte 20, diese Prognose zu erhalten. Stimmt es, dass Sie anfangs in Depressionen verfallen sind, Ihren Job in einer Werbeagentur gekündigt haben und sich lange Zeit zurückgezogen haben?
Ja, das war tatsächlich eine Depression der Unsicherheit, die stark mit Angst verbunden war, weil ich nicht wusste, was auf mich zukommt. Man darf nicht vergessen, was es bedeutet, nicht mehr laufen zu können. Das ist natürlich eine grobe Einschränkung, wenn man bedenkt, wie viel man normalerweise am Tag läuft. Egal, was man macht, es hat meist damit zu tun, dass man sich bewegt. Wenn dieser große Teil plötzlich wegfällt, ist man gedanklich so damit beschäftigt, dass es, glaube ich, verständlich ist, dass man danach in ein tiefes Loch fällt. Es ist eine schwierige Situation gewesen, weil sie auch nicht greifbar war. Nie mehr gehen zu können ist ja nicht so wie ein gebrochener Arm, womit man zum Arzt geht, einen Gips bekommt, und danach ist wieder alles gut. Dadurch, dass ich mich gesellschaftlich total zurückgezogen habe und nur noch zuhause geblieben bin, hat mich das immer noch tiefer heruntergezogen.
Doch Sie haben es geschafft, Ihre Depression zu überwinden. Wie?
Der rettende Punkt war letztendlich mein Sport, d.h. der Rollstuhlbasketball. Da ich vorher sehr begeisterter Basketballspieler war, dachte ich anfangs, dass hätte sich jetzt, mit dem Rollstuhl, erledigt. Um so verrückter ist es, dass ich erst im Rollstuhl den Profivertrag unterschreiben konnte, plötzlich bis zu 1000 Leute dafür Eintritt bezahlten, uns spielen zu sehen und ich noch dazu gut verdiente. Das hätte ich vorher, mit nur 178 cm Größe, nie geschafft. Der Profisport war mein Heilmittel aus der Depression. Vorher hatte ich niemanden mehr gesehen, außer meine Eltern. Dann ging es plötzlich mit dem Training los und ein paar Wochen später spielte man im Stadion vor vollen Rängen.
„Ich konnte plötzlich Leute verstehen, die sich das Leben genommen hatten“
Sich nach einer Depression zum Sport aufzuraffen, ist, denke ich, auch nicht so einfach? Was hat Ihnen die Kraft dazu gegeben?
Eine Depression hat ja viele verschiedene Auswirkungen. Bei mir war es weniger die Antriebslosigkeit als meine Ängste, die mich blockiert haben. Es war nicht so, dass ich nicht wollte, sondern dass ich nicht konnte – die Angst davor, dass plötzlich nichts mehr geht. Bei mir kam dann irgendwann der Punkt, wo ich mir dachte: „Ich muss jetzt irgendwas anfangen und probieren!“ In der Phase, in der es mir am schlechtesten ging, war ich zwar nicht suizidgefährdet, aber ich konnte plötzlich Leute verstehen, die sich das Leben genommen hatten, weil sie sich gedacht hatten: „Das ist für mich besser als die Alternative.“ Allein, dass ich das nachvollziehen konnte, war für mich so alarmierend, dass ich gedacht habe: „Jetzt muss was passieren!“
Ich habe mit Physiotherapie angefangen, wovor ich mich anfangs gescheut hatte. Und in dieser Therapie gab es für mich einen Schlüsselmoment – als der Therapeut zu mir sagte: „Ich kenn Dich noch von früher. Du bist doch ein guter Basketballspieler gewesen. Warum spielst Du denn jetzt nicht Rollstuhlbasketball?“ Anfangs habe ich noch ablehnend reagiert, weil ich dachte, dass es eine reine Reha-Sportart sei. Dann habe ich zum Glück bei den Paralympics in Peking gesehen, was Rollstuhlbasketball wirklich ist und welch coole Typen mitspielten. Das hat mich so beeindruckt, dass ich mich daraufhin bei einem Verein angemeldet habe.
Mein Trainer sagt heute noch zu mir, dass der Typ, der damals nur ein bisschen Basketball spielen wollte, es bis in die Nationalmannschaft schafft, hätte früher wohl keiner gedacht. Der Sport ist einfach ein super Instrument, neue Kraft zu schöpfen – genauso wie es die Familie, die Freunde, Freundin oder auch die Musik sein können. Man muss es nur versuchen. Im Endeffekt bringt Widerstand gegen das eigene Schicksal ja auch nichts. Man muss die Situation annehmen und was daraus machen.

Tan Caglar war leidenschaftlicher Rollstuhlbasketballer. (Foto: Angela Wulf)
Wer ist privat Ihr größter Input und Halt?
Auf jeden Fall meine Eltern. Sie sind so vorbildlich in ihrem Verhalten, halten sich noch im hohen Alter fit, und mein Papa, der eigentlich wenig Emotionen nach außen trägt, ist ein sehr liebevoller Mensch. Ich habe ihn mal gefragt, woher er den Antrieb nimmt, dass er so sehr auf sich achtet, sich so gut ernährt, so schlank und immer noch sportlich ist. Daraufhin hat er geantwortet: „Ich muss ja möglichst lange leben, damit ich lange für dich da sein kann.“ Das hat mich sehr berührt.
Was sind No-Gos im Umgang mit behinderten Menschen? Ich denke, da gibt es auch manchmal Unsicherheiten.
Zum Beispiel sollte man sich nicht zu der Person im Rollstuhl herunterknien. Das machen ja viele. Für den Betroffenen wirkt das aber so ein bisschen, als würde man mit einem Kleinkind reden. Mein größtes Problem im Alltag ist, dass man in einer Unterhaltung oder Gruppe nicht auf Augenhöhe ist, sondern immer der Kleinste ist. Das nervt natürlich. Besser als sich dann zu demjenigen im Rollstuhl herunterzubeugen, ist auf jeden Fall, sich nach Möglichkeit auch hinzusetzen. Ich kenne niemanden, der es mag, wenn sich jemand zu ihm herunterbeugt. Ich glaube, man sollte generell immer hilfsbereit sein, Hilfe anbieten kommt auch immer gut an. Was man jedoch nicht machen sollte, ist, ungefragt einen Rollstuhlfahrer zu schieben. Ungefragte Hilfe wirkt leicht aufdringlich. Viele sind auch unsicher mit ihrer Wortwahl, ob sie sagen dürfen: „Geh doch mal da rüber“, oder besser sagen sollten: „Roll doch mal da rüber.“ Da empfehle ich: Es ist ganz natürlich und organisch, wenn man bei der normalen Sprache bleibt. Damit zeigt man dem anderen eher Respekt als mit irgendwelchen Wortverrenkungen.
Stimmt es, dass Sie das Wort „Inklusion“ nicht mögen?
Es ist nicht so, dass ich das Wort nicht mag, sondern es schlimm finde, dass wir Synonyme für Menschlichkeit erfinden müssen. Es gibt doch auch kein spezielles Wort für das Miteinander, wenn man keine Behinderung hat.
Was sind Ihre Pläne und Wünsche für die Zukunft?
Vor zwei, drei Jahren hätte ich auf die Frage geantwortet: „Ich hätte gerne mal eine Schauspielrolle, die untypisch für einen Rollstuhlfahrer ist – so was wie ein Arzt oder Kommissar.“ Das ist inzwischen in Erfüllung gegangen. Genial wäre es, auch mal was im Fernseh-Unterhaltungsbereich zu machen, z.B. als Moderator einer schönen Samstagabend-Unterhaltungshow – was auch nichts mit dem Thema Behinderung zu hätte. Vielleicht sogar eine Dating-Show.
Wer weiß, kann ja noch kommen… Sind Sie noch auf der Suche oder in einer Partnerschaft?
Ich wurde tatsächlich bereits für so eine Show angefragt. Aber als Kandidat. Finde ich eigentlich eine schöne Sache. Das allerletzte wäre nur, wenn die Behinderten in der Sendung vorgeführt würden. Tatsächlich bin ich seit drei Jahren Single.
Was sollte Ihre Traumpartnerin mitbringen?
Ich glaube, vor allem Geduld, weil ich ein sehr unkonventionelles Leben führe.
Herzlichen Dank für das Interview und weiterhin alles Gute für Sie.
Tan Caglar wurde 1980 in Hildesheim mit Spina bifida (Spaltung der Wirbelsäule) geboren. Nach seinem Schulabschluss arbeitet er zunächst als kaufmännischer Angestellter in einer Werbeagentur, seit 2012 als Coach im Bereich Inklusion und Integration.
2009 begann er mit Rollstuhlbasketball und war sechs Jahre Profi-Spieler bei Hannover United, bis er 2014 zu den Baskets 96 Rahden wechselte. Er gehörte zum erweiterten Kader der deutschen Nationalmannschaft.
(RP)

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