Klaus Winkel durfte lange Zeit sein Grundrecht zu wählen nicht ausüben. Der 52-jährige lebt in Paderborn und befindet sich seit längerem in rechtlicher Vollbetreuung. Vor einigen Jahren stellte ein Gericht ihm einen gesetzlichen Betreuer „in allen Bereichen“ zur Seite. Solch einen Betreuer bekommen unter anderem Menschen, die eine geistige Behinderung haben. Aber auch Senioren sind davon betroffen.
Laut Bundeswahlgesetz waren diese Menschen bisher von der Bundestagswahl ausgeschlossen. Ein Unding, wie Winkel fand. Er ist, wie er erzählt, politisch interessiert und schaut jeden Tag Nachrichtensendungen. Winkel gehört zu acht Klägern, die nach der Bundestagswahl 2013 beim Bundesverfassungsgericht Einspruch gegen den Wahlausschluss erhoben. Im April 2019 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Menschen mit Behinderung, für die eine Betreuung angeordnet ist, wählen dürfen.
Demokratisches Grundrecht für alle
Als Winkel vor wenigen Tagen endlich seine Wahlbenachrichtigung für die Bundestagswahl am 26. September erhielt, war die Freude groß, denn trotz seiner Beeinträchtigungen ist er ein politisch sehr interessierter Mensch:
„Ich habe nie verstanden, warum ich beim Wählen nicht die gleichen Rechte haben soll wie alle anderen auch!“
Weil es ihm vorher versagt wurde, ist das Wahlrecht für Winkel etwas, das er sehr zu schätzen weiß. Dementsprechend sorgfältig wägt er ab, wem er bei der bevorstehenden Bundestagswahl seine Stimme gibt. Eine große Hilfe sind ihm dabei die Unterlagen, die die Ergänzenden Unabhängigen Teilhabe-Beratungen (EUTB) in Westfalen eigens für Menschen mit Beeinträchtigungen zusammengestellt haben.
Bei der Wahl zum Deutschen Bundestag dürfen über 84.000 Menschen mit Behinderung zum ersten Mal wählen. Der Fachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V. (CBP) zeigten sich in einer Erklärung „sehr froh darüber, dass diese Menschen endlich ihr demokratisches Grundrecht wahrnehmen können, denn bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Januar 2019 waren etliche Menschen mit Beeinträchtigungen, für die ein Gericht eine rechtliche Betreuung in allen Angelegenheiten verfügt hatte, von der politischen Teilhabe ausgeschlossen.“
Leichte Sprache, Geduld und Verständnis
Der CBP betont: Damit Menschen mit Beeinträchtigungen ihr demokratisches Grundrecht nutzen, benötigen sie entsprechende Aufklärung und nötigenfalls Assistenz:
„Was es braucht, sind vielmehr Informationen in Leichter Sprache, Geduld und Verständnis, und daran mangelt es den Wahlprogrammen der Parteien und leider auch dem Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für Politische Bildung noch viel zu oft.“
Winkel dagegen fühlt sich auf der Grundlage des Materials und der Unterstützung, die er bekommen hat, jedenfalls gut informiert: „Ich weiß jetzt, wie ich bei der Bundestagswahl meine Stimme abgebe“, sagt er selbstbewusst und auch ein bisschen stolz, „und ich werde mir am Abend im Fernsehen anschauen, ob die Partei, die ich gewählt habe, auch gewonnen hat.“
Lesen Sie hierzu auf ROLLINGPLANET: Wie verständlich sind die Wahlprogramme für die Bundestagswahl 2021?
(RP/PM)

Neueste Kommentare