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Gesundheit & Medizin

Trotz Vorbehalten: Telemedizin auf dem Vormarsch

Das Interesse an Online-Sprechstunden steigt seit Jahren. Die Corona-Pandemie hat der Digitalisierung in diesem Bereich noch einmal einen Schub verschafft. Was heute schon möglich ist. Von Nicole Schippers

Telemedizin: Eine Ärztin am PC.
Immer beliebter: Die Kommunikation mit Ärzten über das Internet. (Foto: Christin Klose/dpa)

An der digitalen Patientenversorgung scheiden sich die Geister. Diagnose und Beratung aus der Ferne stoßen auf Vorbehalte, gleichzeitig wächst die Telemedizin rasant – und das nicht erst seit der Corona-Pandemie. Denn E-Health-Angebote wie Videosprechstunden bieten vor allem chronisch Kranken in ländlichen Regionen die Chance auf eine Versorgung ohne lange Wartezeiten und Anfahrtswege und sind ein Mittel gegen Ärztemangel.

Kein Ersatz, sondern Unterstützung

„Kinderärzte sind knapp. Das ist für ein chronisch krankes und von einer lebenslimitierenden Situation bedrohtes Kind sehr schwierig“, sagt etwa Thomas Voelker, Leiter des Kinderpalliativteams Nordhessen. Auch der weit entfernte Experte in der Großstadt stelle für viele Eltern schwerstkranker Kinder und Jugendlicher eine oftmals unüberwindbare Hürde dar. Ihre Versorgung telemedizinisch zu unterstützen sei eine Riesenchance, meint der Mediziner.

Deshalb arbeitet der Trägerverein des Kinderpalliativteams „Kleine Riesen Nordhessen“, dessen drei Teams in Kassel, Gießen und Frankfurt schwerstkranke Kinder und Jugendliche in Hessen bis zum Lebensende begleiten, mit Industriepartnern und mit Unterstützung des Landes Hessen jetzt an der Entwicklung einer App, die den Pflegenden und den betroffenen Familien eine niedrigschwellige, gebündelte und sichere Kommunikation ermöglichen soll. „Derzeit erreichen unsere Team-Mitglieder Nachrichten, Fragen, Fotos und Videos auf allen möglichen Kanälen, per E-Mail, WhatsApp, SMS“, schildert Voelker. Das soll sich ändern.

Per Tablet oder Smartphone soll das medizinische Personal künftig aus der Ferne Hilfestellung geben sowie Geräte überwachen und steuern können. Auch weit entfernte Experten könnten per Videosprechstunde konsultiert werden. „Das soll die regelmäßigen Hausbesuche nicht ersetzen und keine palliativmedizinische Beratung per Handy sein, sondern eine zusätzliche Unterstützung“, betont Voelker.

Zentralisierung von Patientendaten

Die Patientenversorgung verbessern will auch ein telemedizinisches Projekt, das bereits seit 2017 an den beiden einzigen hessischen Epilepsiezentren der Universitätskliniken Frankfurt und Marburg läuft. „Epilepsie ist eine Volkskrankheit. Bis zu 800.000 Menschen in Deutschland leiden an ihr“, sagt Adam Strzelczyk von der Universitätsklinik Frankfurt. Sie seien auf spezialisierte Neurologen angewiesen. Doch die sind rar: „Vor allem in ländlichen Regionen fehlt die Expertise“, sagt Strzelczyk.

Hinzu kommt, dass eine sichere Diagnose komplex ist. Dazu messen die Mediziner mittels eines EEG (Elektroenzephalogramm) die Gehirnaktivitäten des Patienten, interpretieren diese Daten und vergleichen sie mit früheren Daten. Das Problem:

„Oft finden sich Messdaten zu einem einzigen Patienten verstreut in mehreren Praxen und Kliniken. Außerdem sind die EEG-Daten nicht standardisiert“,

erläutert Strzelczyk. Das könne dazu führen, dass eine Diagnose nicht oder falsch gestellt wird, sich die Behandlung verzögert und die Patienten länger leiden.

Um das zu verhindern, können die aktuell 14 an dem mit Landesmitteln geförderten Projekt angeschlossenen Klinken und Praxen – darunter etwa die Krankenhäuser in Kassel, Eschwege und Bad Homburg – im Verdachtsfall ihre Patienten-Daten an die Experten der Epilepsiezentren in Frankfurt und Marburg online überliefern, wo sie ausgewertet werden. „Wir antworten dann mit einer Diagnose und Therapieempfehlung“, erläutert Strzelczyk.

Selbst eine Therapie ist möglich

Ein „alter Hase“ im Bereich der Telemedizin ist auch das Institut der Kasseler Stottertherapie in Bad Emstal. „Wir setzen bereits seit 1997 Spezialsoftware ein“, sagt Institutsleiter Alexander Wolff von Gudenberg. Seit zehn Jahren biete die Einrichtung auch Übungseinheiten im Internet an, die mit Hilfe einer Videokonferenzplattform im virtuellen Therapieraum stattfinden.

„Einzel- und Gruppensitzungen, Nachsorge, alles kann online stattfinden. Es ist ein Klischee, dass bei der Tele-Therapie keine therapeutische Beziehung möglich ist“, meint von Gudenberg. Die Ergebnisse in der Stottertherapie seien vergleichbar gut. Hindernisse seien eher technischer Art.

„Ein KO-Kriterium sind manchmal noch immer Löcher im Breitband.“

Doch auch die Verwendung neuer digitaler Techniken kann eine Hürde sein. Um niedergelassene Ärztinnen und Ärtze bei ihrem Weg in die Telemedizin zu unterstützen, bietet deshalb das Kompetenzzentrum für Telemedizin & E-Health Hessen (KTE), eine hochschulübergreifende Einrichtung der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Technischen Hochschule Mittelhessen mit Sitz in Gießen, seit Kurzem die digitale Übungsplattform DITRA an.

„Auf DITRA können Ärztinnen und Ärzte über eine sichere Plattform den Umgang mit neuen Technologien üben und erste Erfahrungen damit für ihre praktische Tätigkeit sammeln“, erläutert Armin Häuser, Geschäftsführer des KTE. Die Projektmitarbeiter beraten die Ärzteschaft außerdem kostenlos bei Fragen zur Einbindung neuer Technologien in den Praxisalltag.

(RP/dpa/lhe)

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