Wilson Guzmán ist seit seinem 17. Lebensjahr gelähmt. In seiner Heimatstadt Medellin in Kolumbien versuchte er damals ein gestohlenes Fahrrad zu bergen und wurde dabei in den Rücken geschossen. Seitdem sitzt er im Rollstuhl.
Heute, zwei Jahrzehnte später, gleitet er mit Hilfe eines elektrischen Zuggeräts, das an der Vorderseite seines Rollstuhls befestigt ist, durch die Straßen der Stadt. Er führt Gruppen durch die Parks von Medellin, die ihm auf ähnlichen Fahrzeugen auf Radwegen und über steile Hügel folgen.
„Alle Leute, die sich in diese Rollstühle setzen, haben ein Lächeln auf dem Gesicht,“ sagt Guzmán. „Sie lernen und verstehen wie es ist, in der Haut eines Menschen mit Behinderung zu stecken.“
Rollstuhlfahrten als neue Touristenattraktion
Die Rollstuhlfahrten, die Guzmán einmal pro Woche durchführt, gehören zu den neuestes Touristenattraktionen der Stadt, die langsam ihren Ruf als Drogenumschlagplatz verliert und zu einem der meistbesuchten Ziele Kolumbiens geworden ist.
Organisiert werden die Touren von MATT – das für Mobilität, Zugänglichkeit, Zeit und Arbeit steht -, ein im vergangenen Jahr gegründetes Start-up, das sich zum Ziel gesetzt hat, Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu schaffen. Für umgerechnet 25 Dollar können sowohl Menschen, die laufen können, als auch solche, die es nicht können, in die elektrischen Rollstühle einsteigen und die dreistündige Tour durch die Parks am Flussufer der Stadt unternehmen. Gemütliche Stopps an einem Café oder einer Bar mit Bierprobe dürfen natürlich nicht fehlen. Die Geräte beschleunigen schnell und können Geschwindigkeiten bis zu 30 km/h erreichen.
„Wir denken, dass wir einen erfolgreichen Beitrag zu Bildung und Inklusion leisten“,
sagt MATT-Firmengründer MartÃn Londoño.
Die Touren, die im Oktober 2020 starteten, werden aktuell noch angepasst und optimiert. Londoño wollte sie schon früher anbieten, musste den Start aber aufgrund der Corona-Pandemie und der von der kolumbianischen Regierung verhängten Reisebeschränkungen, die im September aufgehoben wurden, verschieben.

In Medellin, der Hauptstadt Kolumbiens, gibt es viel zu sehen. Seit Oktober 2020 können Touristen an mehrstündigen Touren mit E-Rollstühlen teilnehmen. (Foto: Shutterstock)
Die Handbikes, die mit Hilfe lokaler Fahrradwerkstätten entworfen und gebaut wurden, werden mit wiederaufladbaren Batterien angetrieben und mit Metallstangen und -haken an Rollstühle angekoppelt. Die Lenkung und die Bremsen funktionieren wie bei einem normalen Fahrrad. Zum Beschleunigen muss nur ein Knopf an einem der Griffe gedrückt werden.
Londoño, 31, begann vor vier Jahren mit der Arbeit an den Handbikes, um seine eigene Mobilität zu verbessern. Auch er ist gelähmt, nachdem er sich im Alter von 18 Jahren bei einem Verkehrsunfall die Wirbelsäule gebrochen hatte.
Inspiriert von einem spanischen Unternehmen
Londoño ließ sich von „Batec“ inspirieren, einem spanischen Unternehmen, das elektrische Handbikes herstellt und für 4.000 bis 6.000 Euro verkauft. Er wollte eine Version entwickeln, die für Menschen in Kolumbien erschwinglicher ist, denn der Mindestlohn liegt hier bei etwa 250 US-Dollar pro Monat.
Nach mehreren Versuchen gelang es Londoño, ein funktionierendes Handbike für sich zu bauen, aber er konnte es nicht verkaufen, der Preis von 2.000 US-Dollar war einfach zu hoch für die Menschen.
Menschen mit Behinderung haben meist sehr geringes Einkommen
„Wir haben festgestellt, dass die meisten Menschen mit Behinderung in Kolumbien ein sehr geringes Einkommen haben“, sagt Londoño, der in einem wohlhabenden Viertel von Medellin aufgewachsen ist und eine internationale Schule abgeschlossen hat. „Sie haben keine Beschäftigung, und viele können sich nicht einmal einen normalen Rollstuhl leisten.“
Londoño änderte sein Geschäftsmodell und gründete MATT. Mit seinen Ersparnissen und denen seiner Geschäftspartner hat er eine Flotte von 15 Handbikes aufgebaut. Drei von ihnen wurden an Menschen mit Behinderung vermietet, die für einen von MATT in diesem Jahr eingerichteten Lieferservice arbeiten. Londoño berechnet den Zustellern eine monatliche Gebühr von 90 US-Dollar, nach Abzahlung dürfen sie es behalten.
Die restlichen Handbikes werden von MATT für die Rollstuhltouren eingesetzt, die jedoch noch in den Kinderschuhen stecken. Viele Touren werden noch erarbeitet, zum Beispiel zu Orten, die mit dem Drogenbaron Pablo Escobar in Verbindung gebracht werden, zu einem Museum mit den Werken des Künstlers Fernando Botero und zu einer Seilbahn, die einen steilen Berg zu einem unberührten Nebelwald hinauffährt.
Londoño sagt, er versuche seine Tour in den sozialen Medien zu bewerben, während er Partnerschaften mit lokalen Reiseunternehmen aufbaue. Er träumt davon, Rollstuhltouren in anderen Städten Kolumbiens, Lateinamerikas und der USA anzubieten.
„Das ist ein weiterer Weg, um zu zeigen, wie sich unsere Stadt verändert“,
sagt Valeria Toro, eine Reiseveranstalterin aus Medellin, die das Angebot für Reiseunternehmen in Übersee in ihr Angebot aufnehmen will. „Es ist eine Erfahrung, die die Leute nicht so schnell vergessen werden, wenn sie nach Hause zurückkehren.“
(RP)

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