Eine neue Studie der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), Bochum, warnt davor, die Gefahren eines Kopfsprungs zu unterschätzen. ROLLINGPLANET fasst die wichtigsten Fakten der Arbeit zusammen.
Wiederkehrendes Problem
Jedes Jahr gibt es in Deutschland durchschnittlich 1.000 bis 1.500 neue Querschnittslähmungen nach Unfällen. Davon sind 80 bis 100 auf Badeunfälle zurückzuführen, dies entspricht einem Anteil von vier bis acht Prozent.
Ein Vergleich der Bochumer Zahlen mit internationalen Studien zeigt, dass es sich um ein dauerhaftes und wiederkehrendes Problem handelt.
„Die jährlichen Zahlen an Betroffenen sind seit 50 Jahren leider sehr stabil und konstant zu hoch. Auch haben sich die Risikofaktoren nicht verändert, die zu den Unfällen führen“, sagt PD Dr. Mirko Aach, Leitender Arzt der Abteilung für Rückenmarkverletzte, Universitäts- und Poliklinik am BG Klinikum Bergmannsheil Bochum.
Fatale Folge
Ein vermeintlich harmloser Kopfsprung in flache Gewässer kann fatal sein: „Schlägt beim Sprung der Kopf auf einen harten Untergrund, kann es durch die starke Gewalteinwirkung schnell zu einer Querschnittslähmung kommen – mit schwerwiegenden Folgen für das ganze Leben“, sagt Prof. Dr. Michael J. Raschke, stellvertretender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU).
Freigewässer beinhalten besondere Gefahren, da die Wassertiefe oft nicht bekannt und die Sichttiefe in das Wasser durch natürliche Trübungen beeinträchtig ist. Auch schwanken die Wasserstände bei sommerlicher Hitze, sodass auch bekannte Gewässer gefährlich werden können, wenn Hindernisse unter Wasser plötzlich näher an der Wasseroberfläche sind.
Problemverschärfer Corona
Heimische Badeseen in Wohnortnähe haben sich in der Corona-Pandemie zu sommerlichen Anziehungspunkten für viele Menschen entwickelt, die nicht in den Urlaub können, heißt es in der Studie. Auch in diesem Sommer würden wieder viele junge Menschen an die Seen fahren, um dort zu baden und gemeinsam zu feiern. „Wir appellieren an alle, besonders aber junge Männer, beim Baden vorsichtig zu sein, da es immer wieder zu schweren Badeunfällen kommt“, sagt Raschke, der auch Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am Universitätsklinikum Münster ist.
Die Risikogruppe ist fast immer männlich und durchschnittlich 28 Jahre jung:
Fast ausschließlich Männer springen ins Unglück
Wie groß das Problem von Querschnittslähmungen nach Kopfsprüngen ist, zeigt eine umfangreiche Datenanalyse von Betroffenen am Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum. Laut Studie wurden dort in den vergangenen 18 Jahren 60 Menschen behandelt, die nach einem Kopfsprung eine Rückenmarkverletzung erlitten hatten. Der Anteil an männlichen Patienten lag bei 98,7 Prozent (59 von 60 Patienten).
Bei keinem der Betroffenen kam es zu einer vollständigen neurologischen Genesung, das führte zu einem Leben mit deutlichen Einschränkungen und einer bleibenden Behinderung. Mehr als die Hälfte der Patienten sah sich sogar mit einer vollständigen Rückenmarkschädigung konfrontiert und war anschließend auf den Rollstuhl angewiesen.
„Dies ist besonders tragisch, da das Alter zum Unfallzeitpunkt im Mittel bei 28 Jahren lag und so in aller Regel junge, teils jugendliche Menschen eine dauerhafte schwere Behinderung erlitten“, sagt PD Dr. Matthias Königshausen, Initiator der Bochumer Studie und Geschäftsführender Oberarzt an der Chirurgischen Universitäts- und Poliklinik am BG Klinikum Bergmannsheil Bochum.
Risikofaktor Alkohol
Auffällig ist, dass in knapp 42 Prozent der Fälle Alkohol im Zusammenhang mit dem Unfallereignis dokumentiert wurde. „Alkohol erhöht die Risikobereitschaft und führt schnell zu übermütigem und leichtsinnigem Verhalten“, sagt Dr. Christopher Spering, der als Oberarzt an der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) tätig ist.
Jetzt zeigt sich, wer die echten Freunde sind
Selbstüberschätzung und Imponiergehabe sind zentrale Risikofaktoren. „Ein grundlegendes Problem ist, dass das Unfallrisiko in einer Situation mit hoher Gruppendynamik, in Partylaune und mit Alkohol schnell in den Hintergrund tritt“, so Spering.
Daher können ihm zufolge in der konkreten Situation häufig nur noch Freundinnen und Freunde, die einen kühlen Kopf behalten haben, die fatalen Mutproben stoppen. Aber auch Eltern und Schulen sind gefordert, um frühzeitig Heranwachsende immer wieder auf die Gefahren und schwerwiegenden Folgen hinzuweisen. Hier sei noch mehr Aufklärungsarbeit notwendig, damit sich möglichst viele junge Badesee- bzw. Schwimmbad-Besucher und auch Nutzer privater Pools des Gesundheitsrisikos bewusst sind, das mit Kopfsprüngen in Gewässer verbunden ist.
Orthopäden und Unfallchirurgen empfehlen zur Vermeidung von Badeunfällen:
1. keine Kopfsprünge in unbekannte Gewässer
2. nicht in alkoholisiertem Zustand schwimmen gehen
3. besondere Vorsicht bei unbekannten oder unübersichtlichen Gewässern
4. Wassertiefe vor dem Schwimmen prüfen
5. Baden und Toben im flachen Bereich immer mit Maß
Studie: Spinal cord injury with tetraplegia in young persons after diving into shallow water: What has changed in den past 10 to 15 years?; Ull, Christopher et al.; AO Spine, Global Spine Journal 1-10,2020).
(RP/PM)

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