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Profitänzerin Paulina Porwollik: „Ich kann alles, was Menschen mit zwei Händen auch können“

Trotz einer angeborenen Fehlbildung ihrer Hand hat die 27-Jährige ihren Traum verfolgt, Tänzerin zu werden. ROLLINGPLANET-Redakteurin Anke Sieker sprach mit ihr über ihren Weg, ihre Leidenschaft und ihren Wunsch nach mehr Akzeptanz.

Paulina Porwollik
Trotz einer angeborenen Fehlbildung ihrer linken Hand ist die 27-jährige Paulina Profitänzerin geworden. (Foto: privat)

Nicht die Behinderung ist das Problem, sondern die gesellschaftliche Einstellung dazu. Diese Erfahrung musste auch die 27-jährige Hamburgerin Paulina machen. Dass sie sich trotzdem ihren Traum vom Tanzen erfüllt hat, verdankt sie allein dem stetigen Glauben an sich selbst. „Ich habe mich nie von meinem Traum abbringen lassen. Denn jeder hat das Recht, das zu verfolgen und anzustreben, was ihn glücklich macht und erfüllt“, lautet ihr Lebensmotto.

Paulina Porwollik

Hat sich ihren Traum erfüllt: Die 27-jährige Paulina. (Foto: privat)

„Ich kann alles, was Menschen mit zwei Händen auch können“

Erzähl mir etwas über Deine körperliche Beeinträchtigung…

Seit meiner Geburt habe ich eine Dysmelie, eine angeborene Fehlbildung meiner linken Hand. Mein Unterarm ist verkürzt und die Finger sind nicht ausgebildet, man kann nur Fingeransätze sehen. Das Handgelenk kann ich bewegen, jedoch fehlt der Greifmechanismus zwischen Daumen und Handfläche.

Welche Erfahrungen hast Du damit seit Deiner Kindheit bis heute gemacht?

Insgesamt bin ich in einer sehr toleranten Umgebung aufgewachsen und hatte nie wirklich Schwierigkeiten oder habe mich anders gefühlt. In der Öffentlichkeit gibt es manchmal fragende Blicke, gerade von Kindern: „Mama, guck mal, was hat die da?“. Das ist manchmal unangenehm und ich glaube, gerade in der pubertären Phase, wenn man mit emotionalen Unsicherheiten ringt und den Körper und seine Veränderungen mehr wahrnimmt, habe ich oft meine Hand in der Öffentlichkeit versucht zu verstecken. Ich wollte keine extra Aufmerksamkeit.

Inwiefern bist Du körperlich eingeschränkt? Was würdest Du gerne können?

Ich würde nicht sagen, ich bin körperlich eingeschränkt. Ich kann alles, was Menschen mit zwei Händen auch können, Fingernägel lackieren, Fahrradfahren, Schwimmen, Liegestütze. Und ich musste nie umdenken, von zwei Händen auf eine Hand. Für mich war eine „komplette” Hand zu haben immer normal und natürlich gewesen. Ich bin damit aufgewachsen und groß geworden. Und man entwickelt seine Tricks und Handhabungen. Ich habe noch kein Instrument erlernt und es kann sein, dass ich es wahrscheinlich etwas anders spielen würde als „zweihändige” Menschen. Aber ich würde meine Methode finden. Autofahren kann ich sehr gut, auch mit einer Hand. In Deutschland ist es vorgeschrieben, einen Knauf am Lenkrad zu haben. Ich glaube, so einen Knauf hätte jeder gerne, der macht das seitliche Einparken deutlich angenehmer.

Ist je eine Operation oder eine Prothese für dich in Frage gekommen?

Meine Eltern hatten die Möglichkeit, als ich noch ein Baby/Kleinkind war, zwei Zehen meiner Füße amputieren und an meine kleine Hand ansetzen zu lassen. Aber das hätte das Risiko gehabt, dass die Zehen nicht anwachsen. Ich bin sehr froh, dass sie sich dagegen entschieden haben. Beim Tanzen hätte ich sonst jetzt eventuell Schwierigkeiten, Balance auf halber Spitze zu halten. Eine Prothese stand mal zur Debatte, aber ich habe mich bisher dagegen entschieden, da ich auch sehr gut ohne klarkomme.

„Meine Eltern haben mich immer ermutigt, die Welt zu bereisen“

Wie hast Du es geschafft, Dich von einem eher zurückhaltenden Mädchen zu einer selbstbewussten, starken jungen Frau zu entwickeln?

Ha, das ist eine gute Frage! Ich hatte sehr gute Vorbilder, gerade meine Mutter hat mir immer Mut gemacht, das zu tun, was ich gerne machen möchte. Meine Eltern sind sehr weltoffen und haben mich immer ermutigt, die Welt zu erkunden und zu bereisen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass ich jetzt in London lebe und hier in England vier Jahre studiert habe. Und immer wieder aus seiner Komfortzone auszubrechen und sie zu erweitern, bildet Selbstbewusstsein, Mut und Stärke. Ich habe Erfolge erzielt und habe mich Stück für Stück immer weiter gehangelt – und dann ist man plötzlich erwachsen.

Dabei hast Du dich auch nie von deinem Traum, dem Tanzen, abbringen lassen?

Genau! Mit dem Tanzen habe ich schon als kleines Mädchen angefangen. Ich habe darin meine Leidenschaft gefunden und Feuer gefangen. Ich hatte erst vor, Tiermedizinerin zu werden, hatte dann aber, nach dem Abitur, keinen Studienplatz erhalten und mich ziemlich schnell Richtung Tanz umorientiert. An der Hamburger Erika Klütz Schule für Tanzpädagogik und Bühnentanz machte ich meine dreijährige Ausbildung. Das reichte mir jedoch noch nicht, und ich nahm an Aufnahmeprüfungen an den großen Tanzkonservatorien in England teil. Anschließend studierte ich drei Jahre an der Northern School of Contemporary Dance mit Abschluss Bachelor in Contemporary Dance.

Auftritte im Royal Opera House in London

Paulina Porwollik

Paulina setzt sich für eine tolerante Tanzkultur ein. (Foto: privat)

Mein Master of Arts in Contemporary Dance Performance bestand aus einem einjährigen Tanzpraktikum mit der Candoco Dance Company und einer Master-Abschlussprüfung. Candoco ist eine weltweit bekannte Tanzkompanie für behinderte und nicht-behinderte Tänzer. Zu der Zeit traten wir auch für die große Weihnachtsproduktion „The Lost Thing” mit dem Royal Opera House in London auf.

Woher kam der Mut, sich mit einer körperlichen Einschränkung für eine Tanzausbildung und somit auch eine Branche zu entscheiden, in der sicher ein extrem starker Konkurrenzkampf herrscht? Spielte dabei auch, neben der Leidenschaft für den Tanz, eine andere Intention mit?

Um ganz ehrlich zu sein, habe ich mich für das entschieden, was mich erfüllte. Und das war auf der Bühne zu stehen und dieses enorme Gefühl der Lebendigkeit im Scheinwerferlicht zu spüren. Mir war bewusst, dass dies kein einfacher Weg sein würde, aber ich bin meinem Traum gefolgt, Tänzerin zu werden und es hat geklappt. Ich habe damals nicht viel über meine Behinderung nachgedacht und ich denke immer noch, dass das niemanden abhalten oder verunsichern sollte. Jeder hat das Recht, das zu verfolgen und anzustreben, was ihn glücklich macht und erfüllt. Grenzen bauen wir nur dann, wenn wir sie bewahrheiten.

„Ich habe mich nie unterkriegen lassen, wenn es nicht gleich klappte“

Welche Erfahrungen hast Du während Deiner Ausbildung in London gemacht? Ist die Branche tatsächlich ein „Haifischbecken“?

Körperideale sind nach wie vor großer Bestandteil des täglichen Lebens in der Tanz- und Entertainment-Branche. Allein, dass in jedem Tanzstudio ein riesiger Spiegel angebracht ist, lässt dich von morgens bis abends in den Spiegel schauen. Im Tanz sind der Körper und seine Ästhetik das Medium. Im Training geht es darum, den Körper bis zu Höchstleistungen auszubilden und die körperliche Physik zu formen. Ich habe mich jedoch nie anders gesehen als andere. Ich habe die gleichen Bewegungen und Abfolgen präzisiert oder angepasst. Aber ich habe mich nicht unterkriegen lassen, wenn mal was nicht gleich klappte. Die Tanzwelt ist hart und oft auch unfair, aber im Endeffekt spiegelt sie die Körperideale in unserer Gesellschaft wider. Mehr Akzeptanz und Offenheit im Allgemeinen würde auch zu mehr Akzeptanz und Offenheit in der Tanzkultur führen.

Musstest Du häufig gegen innere und äußere Zweifel ankämpfen?

Na klar, wie jeder andere auch! Die Zweifel, ob man gut genug ist, ob man es schafft, ob der Körper es schafft, sind immer da.

Welchen schwersten Herausforderungen musstest Du Dich bisher stellen?

Die größte Herausforderung war bisher die Pandemie. Ich habe mein Masterstudium im September 2020 abgeschlossen. Seit März 2020 habe ich kaum einen Fuß ins Tanzstudio setzen können, geschweige denn mit anderen Künstlern zusammenarbeiten können. Das ist ein ganz schön großes Loch, in das ich fiel, denn dafür habe ich sieben Jahre studiert und trainiert. Ebenso schwer ist die Sorge, wann und ob es jemals wieder so eine Vielfalt und Möglichkeiten an künstlerischen Projekten und Produktionen geben wird.

Wo schöpfst Du Kraft?

Ahh, da gibt es einiges. Ich schöpfe viel Kraft in der Natur. Das ist in einer Großstadt wie London nicht so einfach, aber ich versuche trotzdem viel rauszugehen, zum Beispiel in den kleinen Park, der etwa zehn Minuten von unserer Wohnung entfernt liegt. Dann esse ich sehr gerne. Meiner Meinung nach macht gutes Essen sehr viel in puncto Wohlbefinden und Lebensqualität aus. Außerdem versuche ich mich, gerade an den Wochenenden, körperlich gut auszuruhen und zu entspannen. Ich liebe Reisen und neue Orte zu entdecken, na klar im Moment ja nicht möglich. Und auf jeden Fall viel Zeit mit den Menschen zu verbringen, die mich glücklich machen, unterstützen und bei denen ich mich fallen lassen kann.

Inzwischen bestärkst Du auch andere in ihrem Körpergefühl. Inwiefern?

In der Pandemie habe ich das „Feel Good Online Programme“ entwickelt. Ein Kursprogramm für Jugendliche und Erwachsene, das sich ganz allein auf DICH konzentriert: Deinen Körper, deine geistige Gesundheit und die Stärkung des Selbstwertgefühls. Ich habe an mir selbst aber auch in meiner Umgebung gemerkt, dass die Einschränkung des sozialen Lebens sehr die Psyche, aber auch das eigene Körpergefühl beeinträchtigt. Der Mensch braucht es, sich körperlich auszulasten und in Bewegung zu bleiben. Die Verbindung von Körper und Geist steht in Wechselwirkung. Ist ein Teil nicht in Balance, wird auch der andere Teil instabil.

Oft werden wir dann mit uns selbst unglücklich, rastlos und unausgeglichen. Ich gebe tägliche „Feel Good Morning Classes“, die etwa 40 Minuten lang sind und leichtes Krafttraining und Dehnung beinhalten, damit man frisch und munter in den Tag starten kann. Am Nachmittag unterrichte ich Ballett, Yoga, Fitness, Tanz Improvisation und Stretch & Relax-Klassen. Für jeden ist etwas dabei! Dieses Programm hilft nicht nur mir, eine Routine zu entwickeln und positiv zu bleiben, sondern hat auch schon viele andere wieder in Schwung gebracht.

Einsatz für eine tolerante Tanzkultur

Was sind Deine Pläne?

Zurzeit versuche ich mich für einen Doktor zu bewerben, um mich intensiver mit der Recherche in Richtung „Inclusive Practice“ (Tanz für behinderte und nicht behinderte Tänzer) zu beschäftigen. Leider bestehen dort immer noch viele Hindernisse für Menschen mit Behinderungen, obwohl eine tolerante Tanzkultur nicht nur menschenrechtlich etabliert werden muss, sondern auch künstlerisch eine unglaublich wichtige Rolle spielen würde.

Was wünscht Du dir, gerade auch im Hinblick auf mehr Akzeptanz für Menschen mit körperlichen Einschränkungen?

Ich würde mir wünschen, dass Menschen mit Behinderungen mehr Mut schöpfen würden, das zu erzielen, was sie erreichen wollen. Wundervolle Vorbilder sind dafür die Paralympischen Athleten. Zudem wünsche ich mir von ganzem Herzen, dass wir weiterhin das Schild „Diversity”, also die Vielfalt, weit erhoben halten und dass sich unsere Gesellschaft immer mehr zu einer Gesellschaft entwickelt, die jeden akzeptiert und toleriert, so wie er ist! Zudem muss man sich vor Augen halten, dass jeder von uns, ob im Alter, durch Krankheit oder Unfall, von jetzt auf gleich eine körperliche Beeinträchtigung erfahren kann.

Hast Du ein Lebensmotto?

Do not give up!! Things that are meant to be will be!

(RP)

Veröffentlicht auf

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