Vom 4. bis zum 13. März finden die Winter-Paralympics 2022 in Peking statt.
Zweiter Start, zweite Silbermedaille: Monoskifahrerin Anna-Lena Forster musste sich auch am zweiten Wettkampftag der Paralympics in Peking ihrer japanischen Rivalin Momoka Muraoka geschlagen geben. Im Super-G hatte die 26-Jährige aus Radolfzell am Sonntag ganze elf Hundertstelsekunden Rückstand. Auch am Samstag in der Abfahrt hatte Forster Silber hinter Muraoka geholt. Ihre beiden Spezial-Disziplinen Slalom und Super-Kombi kommen aber noch.
„Ich ärger mich schon ein bisschen über mich selbst“, sagte Forster: „Es war so knapp und ich weiß, ich hab doch einiges liegenlassen. Aber hey, es ist eine Medaille, das ist doch schon cool.“ Dass die Super-Kombi aufgrund der erwartbaren Witterungsbedingungen von Dienstag auf Montag vorverlegt wurde, fand sie eher nicht gut. „Ich hab mich schon ein bisschen auf den Tag Pause gefreut“, sagte Forster, die eine Femurhypoplasie hat (ihr Oberschenkel ist stark verkürzt, im Schienbein fehlen Knochen, das rechte Bein komplett): „Aber wir müssen flexibel bleiben und ich bin bereit.“

Damen, Super-G sitzend: Anna-Lena Forster aus Deutschland kommt ins Ziel. )Foto: Christoph Soeder/dpa)
Keine weiteren Medaillen für deutsche Sportlerinnen
Für die anderen deutschen Frauen waren Medaillen am Sonntag unerreichbar. Bei den Sehbehinderten wurde die Marburgerin Noemi Ristau Fünfte, in der stehenden Klasse belegte Anna-Maria Rieder aus Murnau ebenfalls Rang fünf, Andrea Rothfuss (Mitteltal-Obertal) wurde Neunte.
„Heute bin ich gefahren wie auf rohen Eiern“,
sagte Rothfuss, die bei bisher vier Paralympics-Teilnahmen 13 Medaillen geholt hat: „Ich hab es bisher bei allen Spielen geschafft, mindestens eine Medaille zu holen“, sagte die 32-Jährige: „Diesmal wird es so schwer wie nie. Aber der Traum lebt noch.“
Verbands-Chef Beucher vom Start „freudig überrascht“
Deutschlands Verbands-Präsident Friedhelm Julius Beucher hat ein mehr als positives Fazit des ersten Wettkampf-Wochenendes bei den Winter-Paralympics in Peking gezogen. „Wir waren sowas von freudig überrascht, am ersten Tag mit vier Medaillen loszulegen“, sagte Beucher am Sonntag. „Der Start ist vollkommen okay“, erklärte auch Chef de Mission Karl Quade:
„Schade, dass es noch zu keinem ersten Platz gereicht hat. Aber abgerechnet wird am Schluss.“
Insgesamt hat der Deutsche Behindertensportverband am Auftakt-Wochenende fünf Medaillen gewonnen, vier silberne und einmal Bronze. Weil Gold fehlt, belegt Deutschland nur Rang zwölf im Medaillenspiegel. In Bezug auf die Anzahl der Podestplätze waren aber nur China (16), die Ukraine (7) und Kanada (6) erfolgreicher.
Besonders überraschten am Samstag die jungen Biathleten mit drei Medaillen. Dass dies auch durch das Fehlen der ausgeschlossenen Russen begünstigt wurde, macht den Erfolg für Beucher nicht weniger wertvoll. „Ob verletzt oder nicht zugelassen, der Wettbewerb findet unter denen statt, die am Start sind“, sagte er: „Und dass Fehlen der Russen ist ja nicht ungerecht und auch nicht unverschuldet.“ Auch Quade erklärte: „Ja, das ergibt neue Möglichkeiten. Aber das gilt ja für alle.“
Dass Gold-Hoffnung Anna-Lena Forster bisher zweimal Silber geholt hat, werten beide nicht als Enttäuschung. „Das waren zwei starke Leistungen. Sie erfüllt ihre Favoritenrolle voll“, sagte Beucher: „Es hätte beide Male auch Gold sein können. Und die Hoffnung besteht ja weiter.“ Für Quade sind „zwei zweite Plätze ein herausragendes Ergebnis. Und ihre Spezial-Disziplinen kommen ja noch.“
Ukrainer nach Gold-Tag „weiter still und nachdenklich“
Von Holger Schmidt und Tobias Brinkmann
Der goldene Start in die Paralympics versank für das Team aus der Ukraine schnell wieder in Trauer und Sorge um die Heimat. „Sie sind weiter sehr still und nachdenklich im Dorf“, berichtete Deutschlands Chef de Mission Karl Quade aus dem Athletenlager bei den Winterspielen der Behindertensportler in Peking. Dem russischen Angriffskrieg nach einer Anreise-Odyssee entkommen, war den Ukrainern trotz der Führung im Medaillenspiegel nach dem Auftakttag nicht nach Feiern zumute gewesen.
„Der Generalsekretär zeigt mir jeden Tag Bilder von seiner Familie und wie es dort zugeht. Das ist alles sehr dramatisch“, erzählte Quade sichtlich ergriffen. „Deshalb war es sicher wichtig für das Team, erfolgreich zu starten. Denn sie wollen hier vor allem ein Zeichen setzen und Aufmerksamkeit für Blau-Gelb in der Welt erzeugen“, fügte Quade hinzu.
Genau das sei sein Antrieb gewesen, berichtete Grigori Wowtschinski nach seinem Gold-Lauf im Biathlon. „Ich habe jeden einzelnen Tag geweint“, sagte der 33-Jährige.
„Aber ich gebe mein Bestes, mein Land zu vertreten. Damit die ganze Welt den Namen Ukraine jeden Tag hört.“
Nach dem Sonntag war die Ukraine als Zweiter in der Medaillenwertung hinter China weiter unter den Top-Nationen.
Mit den Gedanken an die Lage in der Heimat habe er auch die Strapazen der abenteuerlichen Anreise über Polen, die Slowakei, Österreich, Italien und die Türkei überwunden, sagte Wowtschinski. „Es ist ein Wunder, dass wir es überhaupt alle hierher geschafft haben. Wir waren vier Tage und vier Nächte unterwegs“, sagte Verbandspräsident Waleri Suschkewitsch. „Und wir mussten viele Hürden überwinden. Viele unserer Team-Mitglieder mussten vor Bomben und Granaten flüchten.“
Es sei schwierig, ja fast unmöglich gewesen, sich auf den Sport zu konzentrieren, bekannte Wowtschinski. „Es gibt Wichtigeres. Ich musste die ganze Zeit an den Krieg denken. An mein Land. Die Menschen. Die Kinder. Meinen Präsidenten. Ich liebe die Ukraine.“ Doch genau das habe ihm Kraft verliehen. „Mir war klar: Ich muss hier alles für die Ukraine geben.“
So empfand es auch die sehbehinderte Oksana Schischkowa, die ebenfalls Gold im Biathlon gewann. „All meine Gedanken waren allein bei meiner Familie, meinen Verwandten, bei allen in der Ukraine“, sagte sie. Es sei zwar nur Sport, fügte der dritte Auftaktsieger Witali Lukjanenko (43) hinzu:
„Aber es ist trotzdem sehr wichtig für unser Land.“
Und dann hatte es sogar noch so etwas wie einen vierten ukrainischen Sieg gegeben. „Das ist für die Ukraine und die Menschen in der Ukraine“, sagte Biathletin Oksana Masters. Die 32-Jährige startet zwar für die USA, stammt aber aus der Ukraine. Sie wurde mit mehreren körperlichen Beeinträchtigungen geboren, sehr wahrscheinlich als Folge des Reaktorunfalls 1986 im nahe gelegenen Tschernobyl.
Masters wuchs in drei ukrainischen Waisenhäusern auf, ehe sie von einer Frau aus Kentucky adoptiert wurde. Ihre Wurzeln hat sie nie vergessen. „Ich bin stolz, Ukrainerin und Amerikanerin zu sein und beide Länder zu repräsentieren“, sagte sie: „Das ist die Kraft des Sports.“
Masters dachte allerdings auch an die wegen des Krieges ausgeschlossenen Athleten aus Russland und Belarus. „Ich wünschte, sie wären hier und hoffe, dass bald wieder Frieden herrscht“, sagte sie: „Im Speisesaal kam eine von ihnen auf mich zu, umarmte mich und weinte. Sie wollte so gerne hier antreten, musste aber nach Hause fahren. Ich kann es kaum erwarten, wieder gegen sie zu fahren.“
Russland plant Ersatz für Paralympics
Die russische Regierung plant nach dem Ausschluss ihrer Sportler von den Winter-Paralympics eine Ersatzveranstaltung. Der stellvertretende russische Ministerpräsident Dmitri Tschernyschenko habe das Sportministerium und das Finanzministerium angewiesen, die Wettkämpfe zu organisieren, berichtete die russische Agentur Tass. Den Athleten solle das Sportfest, auf das sie sich jahrelang vorbereitet hätten, nicht vorenthalten werden. Die Veranstaltung soll demnach in der russischen Stadt Chanty-Mansijsk ausgetragen werden.
Dabei sollen wie bei den Paralympics Medaillen verteilt und Rekorde als offiziell gewertet werden, hieß es. An die Medaillengewinner sollen laut Tschernyschenko auch die ursprünglich geplanten Prämien ausgeschüttet werden. Für einen Sieg gebe es demnach umgerechnet rund 38.000 Euro als Preisgeld.
Russische und belarussische Athleten waren kurz vor dem Start der Paralympics in Peking wegen der Invasion in die Ukraine von den Wettkämpfen ausgeschlossen worden. Mit der Entscheidung hatte das Internationale Paralympische Komitee (IPC) auf die breite Empörung über die geplante Teilnahme der Sportler reagiert. Zuvor wollte das IPC Sportler aus Russland und Belarus als neutrale Athleten unter der paralympischen Flagge starten lassen.
(RP/dpa)

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