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Pamela Pabst: „Natürlich ist meine Blindheit auch ein Alleinstellungsmerkmal“

Ein Aha-Erlebnis mit Bill Clinton und Herausforderungen im Sushi-Laden – Teil 2 unseres Interviews mit der ersten von Geburt an blinden Strafverteidigerin Deutschlands. Von ROLLINGPLANET-Autorin Bettina Maier

Zwei, die sich verstehen: Schauspielerin Christina Athenstädt (links) verkörpert in „Die Heiland – Wir sind Anwalt“ die blinde Anwältin Romy Heiland nach dem Vorbild von Pamela Pabst.
Zwei, die sich verstehen: Schauspielerin Christina Athenstädt (links) verkörpert in „Die Heiland – Wir sind Anwalt“ die blinde Anwältin Romy Heiland nach dem Vorbild von Pamela Pabst. (Foto: ARD/Reiner Bajo)

Als Rechtsanwältin mit eigener Kanzlei in Berlin arbeitet Pamela Pabst (43) heute in ihrem Traumberuf. Ihr berufliches Ziel hat sie von Anfang an mit Selbstverständlichkeit verfolgt und sich von Zweiflern und Kritikern nie aufhalten lassen. ROLLINGPLANET veröffentlicht dieses Interview in zwei Folgen.
Zurück zu Teil 1: Pamela Pabst: „Menschen mit Behinderung müssen mehr leisten als andere“

„Manchmal trösten wir auch die Ehefrau eines Mandanten, der im Gefängnis sitzt“

Sie haben eine Gemeinschaftskanzlei mit Rechtsanwalt Dr. Bernhard von Elling.  Gab es am Anfang Herausforderungen, die sie meistern mussten?

Er ist ja nicht nur mein geschäftlicher, sondern auch mein privater Partner. Von daher kann ich nur sagen, dass es gut funktioniert. Er war jedenfalls keiner von den Zweiflern, die ich am Anfang angesprochen hatte.

Was zeichnet Ihre Kanzlei heute aus?

Wir behandeln unsere Mandanten gut, sind ehrlich und holen die Leute emotional dort ab, wo sie stehen. Dann trösten wir auch mal die Ehefrau eines Mandanten, der im Gefängnis sitzt. Natürlich arbeiten wir auch, um Geld zu verdienen, wir müssen ja den Kühlschrank füllen. Aber ich muss nicht immer alles machen, was ich machen könnte und alles in Rechnung stellen, was ich könnte. Wenn ich von einem Mandanten für einen Brief 700 Euro verlange, zeigt er mir zurecht den Vogel. Wenn ich einer Versicherung diese Rechnung stelle, weil es der Rechtslage entspricht, dann ist das in Ordnung. Ein wenig Augenmaß ist wichtig.

Welche Mandanten kommen zu Ihnen?

Überwiegend nicht behinderte Strafrecht- und Familienrechtmandanten. Teilweise Leute, die schon im Gefängnis sitzen und im Prinzip aus aller Herren Länder und quer durch die Gesellschaft. Ich freue mich auch mal über den einen oder anderen behinderten Mandanten, in den ich mich immer gut hineinfühlen kann, ganz egal welche Behinderungsart. Es kommt dann ein gewisses Wir-Gefühl auf, wir sind ja dieselbe Community.

„Bill Clinton hätte ich gerne in der Lewinsky-Affäre vertreten!“

Welche Menschen inspirieren Sie?

Im juristischen Bereich fällt mir niemand ein. Aber wer mich sehr beeindruckt hat, ist Bill Clinton. Bei seiner Rede vor dem Brandenburger Tor am 12. Juli 1994 hatte ich ein regelrechts Aha-Erlebnis. Nichts wird uns aufhalten! Alles ist möglich! Diese Rhetorik hat mich sehr begeistert. Bill Clinton hätte ich auch gerne als Mandanten in der Lewinsky-Affäre gehabt.

Viele kennen Pamela Pabst nicht mit Namen, sondern als „die blinde Anwältin mit dem Stock“ – ein Alleinstellungsmerkmal.

Viele kennen Pamela Pabst nicht mit Namen, sondern als „die blinde Anwältin mit dem Stock“ – ein Alleinstellungsmerkmal. (Foto: ARD/Reiner Bajo)

Was sagen Sie, hat Sie Ihre Blindheit als Mensch stärker gemacht?

Ja, auch dadurch, dass mir meine Eltern immer vermittelt haben, dass ich genauso wertvoll bin wie jemand anders. Ich setze mir immer wieder neue Ziele, auch ganz banale. Zum Beispiel nehme ich mir vor: Heute gehe ich in den neuen Sushi-Laden, frage den Verkäufer was es gibt und suche mir dann was aus. Ich hoffe, dass mir die Tüte richtig in die Hand gedrückt wird, dass ich die Türe finde und so weiter. Und wenn ich es dann geschafft habe und mit der Tüte voller Sushi rauskomme, dann bin ich stolz wie Bolle. Ich denke, dass man an solchen Erlebnissen wächst und stärker wird.

„Ich sehe das, was ihr nicht seht“

Also bewusst seine Komfortzone verlassen, mutig sein und etwas wagen, wovor man Angst hat. Glauben Sie, dass Sie auch gewisse Vorteile gegenüber Ihren Kollegen haben, sind Sie fokussierter?

Das ist etwas, was die Menschen sehr an mir schätzen. Ich höre vernünftig zu, weil ich eben nicht abgelenkt bin und ein gutes Gedächtnis habe. Sie fühlen sich dadurch sehr gut verstanden. Natürlich ist meine Blindheit auch ein Alleinstellungsmerkmal. Viele kennen mich nicht mit Namen, aber sie kennen die blinde Anwältin mit dem Stock. Das ist eine gewisse Werbung für mich und die will ich auch gar nicht abschütteln. Meine Behinderung gehört nun mal zu meiner Persönlichkeit.

Hören Sie, wenn jemand lügt?

Ich bin natürlich kein Lügendetektor. Aber ich achte sehr stark auf die Stimme und habe eine hohe Quote, Unstimmigkeiten rauszukriegen. Zum Beispiel, wenn jemand eine Situation sehr ausführlich erzählt und über andere Sachen schweigend hinweggeht. Oder wenn es inhaltlich einfach nicht zusammenpasst.

2014 ist Ihre Biografie „Ich sehe das, was ihr nicht seht“ erschienen. Wie ist der Titel zu verstehen?

Es ist eine Anlehnung an das gleichnamige Kinderspiel. Wer nicht sieht, geht viel bewusster mit den Dingen um. Fragen Sie zum Beispiel einen sehenden Menschen: Hier ist gerade ein Auto vorbeigefahren, hast du das gesehen? dann wird er höchstwahrscheinlich mit Nein antworten. Er sieht, aber sieht trotzdem nicht, weil er von Reizen überflutet ist. Wer dagegen nicht gut sieht, ist bewusster und pickt sich die Details viel besser heraus.

Ihre Geschichte ist Grundlage der Fernsehserie „Die Heiland – Wir sind Anwalt“. Wie finden Sie die Umsetzung?

Absolut super. Ich liebe sie! Sowohl Lisa Martinek (Anmerkung der Redaktion: Die Schauspielerin ist im Juni 2019 überraschend gestorben) als auch Christina Athenstädt haben für die Rolle der Romy Heiland viele meiner Gesten kopiert, was ich großartig finde. Viele Menschen sagen mir, dass sie mich in Romy sehen und es eine sehr realistische Darstellung meiner blinden Person ist. Mir gefällt gut, dass die Behinderung als Teil ihrer Persönlichkeit erzählt wird und es eben keine Serie über eine behinderte Frau ist. Ich würde sagen, Romy und ich stimmen zu mindestens 80 Prozent überein. Sie ist auf jeden Fall ein großer Teil von mir.

Vielen Dank für das Interview.

Dritte Staffel

An diesem Dienstag um 20.15 Uhr läuft in der ARD die dritte Staffel von „Die Heiland – Wir sind Anwalt“ an. „Ausgeknockt!“ heißt der Fall. Die Serie ist ein Quotenhit: Nach der erfolgreichen Premiere im Herbst 2018 gewann die zweite Staffel im Frühjahr 2020 weitere Zuschauer hinzu und erreichte im Schnitt rund fünf Millionen Zuschauer und 15,3 Prozent Marktanteil beim Gesamtpublikum. Lesen Sie dazu auch: Als blinde Juristin Tätern auf der Spur

(RP)

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ROLLINGPLANET ist seit 2012 Deutschlands Onlinemagazin für Menschen mit Behinderung und alle anderen. ROLLINGPLANET ist ein Non-Profit-Projekt, realisiert vom Verein Menschen, Medien und Inklusion e.V., München. Mehr über unser Team erfahren Sie hier.

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