Das Personenbeförderungsgesetz nennt in § 8 Absatz 3 Satz 3 den 1. Januar 2022 als Zieltermin, um die vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. Seit über einem Jahr weisen der Deutsche Bahnkunden-Verband (DBV) und andere Fachverbände darauf hin, dass es nicht ausreicht, im Gesetz ein Datum zu nennen.
Denn die Umsetzung – sowohl finanziell, baulich als auch personell – „ist überhaupt nicht geregelt! Hier werden seit Jahren Kommunen und Verkehrsunternehmen durch die Bundesregierung und die Bundesländer alleine gelassen“, kritisiert der DBV.
Der DBV appelliert deshalb an die neue Bundesregierung, die Herstellung der vollständigen Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) mit der notwendigen finanziellen Förderung auszustatten.
Barrierefreiheit derzeit nicht einklagbar
In der Koalitionsvereinbarung ist zum Thema Inklusion (Seite 78) vereinbart: „Wir werden die Ausnahmemöglichkeiten des Personenbeförderungsgesetzes bis 2026 gänzlich abschaffen.“ Dieser eine Satz löse das grundsätzliche Problem nicht, so der DBV, „er schiebt es nur in die Zukunft!“
Die nicht geschaffene Barrierefreiheit zum 1. Januar 2022 ist in der jetzigen Rechtslage nicht durch Betroffene einklagbar. Daran werde sich auch mit dem neuen Ziel 2026 nichts ändern. Was nach wie vor fehlt, so der DBV: Personal und Geld in den Kommunen, um die schrittweise Umrüstung und eventuell sogar den Neubau von Straßenbahn-, U-Bahn-, Bushaltestellen und Fahrzeugen zu beginnen. Der DBV moniert zudem: In den Kommunen gibt es nicht einmal ein aktuelles Verzeichnis des barrierefreien Zustands aller Haltestellen im Nahverkehr (ROLLINGPLANET berichtete: Trotz Gesetz: Menschen mit Behinderung bleiben im öffentlichen Personennahverkehr oft ausgeschlossen).
Hinzu komme, dass der Bahn-Fernverkehr vom Personenbeförderungsgesetz gar nicht erfasst wird. Nochmals der DBV: „Hier gibt es überhaupt keinen Zieltermin für die Umsetzung der Barrierefreiheit. Aktuell bestellt die Deutsche Bahn AG weiterhin Züge, die nicht barrierefrei zu nutzen sind. Es gibt also für diese und die kommenden Bundesregierungen viel zu tun in Sachen Barrierefreiheit!“
Verschärfte Problematik in dünn besiedelten Regionen
Auch der Sozialverband VdK Hessen-Thüringen fordert die zügige barrierefreie Umgestaltung aller Verkehrsangebote und -einrichtungen. „Noch immer stehen Bürgerinnen und Bürger, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind, unterwegs in den Verkehrsstationen oft vor Hindernissen“, teilte der
Landesvorsitzende Paul Weimann mit.
„Ohne gesetzliche Verpflichtungen für barrierefreie Mobilität müssen Menschen mit Behinderungen insbesondere in eher dünn besiedelten Regionen auf die notwendigen Veränderungen viel zu lange warten.“ Dabei seien gerade sie auf einen barrierefreien öffentlichen Nahverkehr angewiesen, etwa um Einkäufe zu erledigen oder den Arzt aufzusuchen.
Jeder fünfte Bahnhof nicht stufenlos erreichbar
Zwar müsse zum 1. Januar 2022 nach dem Personenbeförderungsgesetz im öffentlichen Personennahverkehr vollständige Barrierefreiheit erreicht sein. Der VdK kritisierte jedoch, dass diese Frist nicht gelte, wenn im Nahverkehrsplan Ausnahmen konkret benannt und begründet werden.
Die Deutsche Bahn (DB) will bis zum Ende des Jahres Renovierungsarbeiten an insgesamt 69 Thüringer Bahnhöfen abschließen. Die Maßnahmen im Rahmen des vom Bund finanzierten Renovierungsprogramms sind deutschlandweit im Gange. Im Jahr 2021 investierte die DB nach eigenen Angaben insgesamt rund 1,6 Milliarden Euro, um Bahnhöfe neu zu bauen oder zu modernisieren.
Für den VdK reichen diese Maßnahmen indes nicht aus. Rund 20 Prozent der Bahnhöfe in Deutschland seien noch immer nicht stufenlos erreichbar und an etwa der Hälfte fehle ein tastbares Leitsystem, führte Weimann aus. Laut einer Statistik der DB seien 2020 nur 25 Prozent der Bahnsteige für Menschen mit Sehbehinderungen ausgestattet.
(RP/PM/dpa)

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