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Bildung & Karriere

Pamela Pabst: „Menschen mit Behinderung müssen mehr leisten als andere“

Die erste von Geburt an blinde Strafverteidigerin in Deutschland lässt sich keine Grenzen setzen. Ihr Leben inspirierte die ARD zur Fernsehserie „Die Heiland – Wir sind Anwalt“. ROLLINGPLANET-Autorin Bettina Maier führte ein Interview mit einer Frau, die ermutigt, konsequent den eigenen Weg zu gehen. (Teil 1)

Eigentlich wollte Pamela Pabst Strafrichterin werden. Heute möchte sie nicht mehr tauschen, Rechtsanwältin ist ihr Traumjob.
Eigentlich wollte Pamela Pabst Strafrichterin werden. Heute möchte sie nicht mehr tauschen, Rechtsanwältin ist ihr Traumjob. (Foto: Metin Yilmaz)

Als Rechtsanwältin mit eigener Kanzlei in Berlin arbeitet Pamela Pabst (43) heute in ihrem Traumberuf – und berät die Schauspieler von „Die Heiland – Wir sind Anwalt“. Ihr berufliches Ziel hat sie von Anfang an mit Selbstverständlichkeit verfolgt und sich von Zweiflern und Kritikern nie aufhalten lassen. ROLLINGPLANET veröffentlicht dieses Interview in zwei Folgen. In unserem ersten Teil erklärt Pabst unter anderem, warum sie als blinder Mensch Verteidigerin, aber nicht Strafrichterin sein darf.

Gespräch mit einer Frau, bei der alles möglich ist (nur nicht als Strafrichterin)

Frau Papst, war es für Sie schwierig, dorthin zu kommen, wo Sie jetzt sind?

Ich war schon immer ein sehr mutiger Mensch mit der Einstellung: Was ich mir vornehme, wird funktionieren. Bisher hat in meinem Leben wirklich alles sehr gut geklappt, denn ich hatte stets Menschen um mich herum, die an mich geglaubt haben. Die wenigen Zweifler und Kritiker habe ich mittlerweile auch überzeugt. Natürlich gab es anfangs den einen oder anderen sehenden Kollegen, der sich nicht vorstellen konnte, wie ich als blinde Rechtsanwältin arbeiten könne.

Auch ein Richter äußerte mal die Sorge, ein Mandant könnte mir womöglich was antun. Meine einzige für mich schockierende Negativerfahrung hatte ich mit dem Arbeitsamt – kurz vor Beginn meiner Tätigkeit als Rechtsanwältin. Der Mitarbeiter dort war der Meinung, dass mein Referendariat, das ja Teil der Juristenausbildung ist, eine Rehabilitationsmaßnahme sei. Auch fragte er mich ernsthaft, ob ich einen Führerschein hätte. Aber ansonsten habe ich über all die Jahre nur positive Erfahrungen gemacht.

„Viele Kollegen trauten mir lediglich zu, im Hinterzimmer zu arbeiten“

Gab es nicht auch mal einen dummen Spruch, über den Sie sich geärgert haben?

Gerade am Anfang meiner Tätigkeit haben mir Kollegen lediglich zugetraut, im Hinterzimmer juristisch zu arbeiten. Dass mich Mandanten akzeptieren, konnten sie sich nicht vorstellen – auch nicht, wie ich überhaupt den Weg in die Gerichtsverhandlung finden soll. Aber das habe ich ihnen nicht übelgenommen, sie konnten es sich halt einfach nicht vorstellen. Ich hatte einmal eine Richterin, die der Meinung war, dass ich den Angeklagten nicht ordnungsgemäß vertreten könne, weil ein Video in der Gerichtsverhandlung angesehen werden musste. Darüber habe ich mich sehr geärgert, denn sie hätte mich auch anrufen und fragen können, wie ich das mache. Dann hätte ich ihr erklärt, dass ich jemanden mitnehme, der sieht.

Die meisten Richter fragen nach, wenn ihnen etwas unklar ist?

Ja. Damit habe ich auch keine Probleme. Ich gebe über alles sehr gerne Auskunft. Überhaupt finde ich es nicht schlimm, wenn Nichtbehinderte einen behinderten Menschen alles Mögliche fragen. Für mich gibt es keine doofe oder unangemessene Frage.

Sehen Sie sich als Vorbild für junge Menschen mit einer Sehbehinderung, die eine Karriere als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt einschlagen wollen?

Auf jeden Fall. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es mir schon als Kind immer sehr weitergeholfen hat, mir Dinge von sehbehinderten Erwachsenen zeigen zu lassen. So habe ich gelernt: Ah ja, das funktioniert. Da ist jemand, der ist gleich wie du. Und wenn der das hinkriegt, schaffst du das auch! Ich denke, dass ich sowohl in emotionaler Hinsicht, aber auch ganz praktisch, ein gutes Vorbild bin. Ich nehme sehr gerne Praktikantinnen und Praktikanten mit diversen Behinderungsarten. Wir probieren aus, was geht, was geht nicht, wo sind die Grenzen?

„Ich habe in meinem Leben viel Unterstützung bekommen und das gebe ich sehr gerne an Andere zurück“

Haben Sie das Gefühl, dass Sie als Anwältin mit anderen Maßstäben gemessen werden?

Ich bin davon überzeugt, dass Menschen mit Behinderung immer mehr leisten müssen als andere. Bestimmte Tätigkeiten und Abläufe dauern einfach länger und müssen durchorganisiert sein. Wer nicht laufen kann, muss sich im Vorfeld überlegen, was er im Fall eines defekten Aufzuges macht. Jemand, der nicht gut sieht und den Weg alleine nicht findet, muss sich überlegen, wen nehme ich mit, wenn meine Begleitperson krank ist? Dass Leute absichtlich von mir mehr verlangen, damit ich an die gleiche Stelle komme, habe ich noch nie erlebt. Sie denken eher, ich müsse besonders gut sein und spezielle Fertigkeiten besitzen, vor allem auch deshalb, weil ich als Blinde in nur acht Semestern das Jura-Studium bewältigt habe.

Arbeitet in ihrem Traumberuf: Pamela Pabst, Deutschlands erste von Geburt an blinde Strafverteidigerin.

Pamela Pabst, Deutschlands erste von Geburt an blinde Strafverteidigerin. (Foto: ARD/Reiner Bajo)

Stimmt es, dass ein blinder Mensch nicht Strafrichter sein darf?

Ja. Es gibt eine Formulierung in der Strafprozessordnung, wonach das Gericht sein Urteil aus dem „Inbegriff“ der Hauptverhandlung fällt. Und das Wort „Inbegriff“ wurde vom Bundesgerichtshof als „mit allen Sinnen“ definiert. Aufgrund dieser Formulierung ist es Blinden nicht erlaubt, Strafrichter zu sein. Für mich ist das Quatsch, denn ein sehender Richter ist auch mal unaufmerksam. Wenn an dieser Stelle das Gesetz geändert würde, wäre das Problem vom Tisch. Ich habe Verständnis dafür, dass ein blinder Richter nicht alleine im Gerichtssaal sitzen soll, aber warum nicht zusammen mit zwei weiteren Kollegen? Jeder achtet auf etwas anderes. Grundsätzlich gibt es aber viele blinde Richter in allen möglichen Gebieten – nur eben keine Strafrichter.

Bekommen Sie vom Gericht irgendwelche Unterstützung oder Hilfe in Sachen Barrierefreiheit?

Es wird davon ausgegangen, dass ich allein dafür sorge. Ich bekomme zum Beispiel keine Akten oder Schreiben in Blindenschrift oder sowas. Es gibt eine Verordnung, wonach ich für blinde Angeklagte oder Prozessbeteiligte Dokumente in Blindenschrift, Großdruck oder als Audio-Datei verlangen kann. Das mache ich auch ab und zu mal für blinde Mandanten, einfach, um die Gerichte ein wenig zu ärgern und daran zu erinnern, welchen Auftrag sie haben. Ich habe aber nie versucht, alle Akten digitalisiert zu bekommen, das kann das Gericht faktisch gar nicht leisten.

„Meine Assistentinnen sind meine Augen“

Ich habe zwei sehende Arbeitsplatzassistentinnen, die dafür sorgen, dass ich den Weg zum Gericht und meine Mandanten finde, dass ich die Akte vorgelesen oder eingescannt bekomme, dass mir in der Gerichtsverhandlung Sachen erklärt werden, wie zum Beispiel ein Video, das ich nicht sehen kann. Meine Assistentinnen werden mir vom Staat aus der Ausgleichsabgabe bezahlt, also dem Geldbetrag, der von den Firmen geleistet werden muss, die keine behinderten Arbeitnehmer beschäftigen. Ich muss sie also nicht aus eigener Tasche bezahlen.

Welche technischen Hilfsmittel sind für Ihre Arbeit wichtig?

Mein Computer ist mit einem sogenannten Screenreader ausgestattet, einem Programm, welches den Inhalt des Bildschirmes vorliest und parallel auf eine Braille-Zeile, einen kleinen Kasten, überträgt, wo der Inhalt dann in Blindenschrift angezeigt wird. Meine Texte schreibe ich auf dem sprechenden Computer selbst – mit zehn Fingern blind, im wahrsten Sinne des Wortes. Ansonsten habe ich noch ein spezielles Lesegerät und ein Diktiergerät, um bei Gesprächen Notizen aufzusprechen.

„Ich halte meine Plädoyers komplett frei!“

Sie müssen ja ein sehr gutes Gedächtnis haben, wenn Sie sich alles so gut merken können, was Ihnen vorgelesen wird?

Ja, absolut. Ich trainiere das natürlich und bin dazu übergegangen, mir in der Gerichtsverhandlung überhaupt keine Notizen zu machen und am Ende das Plädoyer komplett frei zu halten. Wenn ich ohne Blatt in der Hand aufstehe und dann eine halbe Stunde lang rede, schockiere ich regelmäßig die Leute. Es macht mir total Spaß, mein Gedächtnis auf diese Weise zu trainieren.

Ursprünglich wollten Sie ja Strafrichterin oder Staatsanwältin werden?

Ja, bis ich gemerkt habe, dass das nicht geht. Nun, jetzt bin ich Strafverteidigerin und mache meinen Job super-super-gern. Wenn ich zum Beispiel Opfer vor Gericht vertrete, kann ich ja auch die Rolle der Staatsanwältin einnehmen oder ich kann als Richterin beim Anwaltsgericht tätig sein. In meinem Beruf reise ich durch das ganze Bundesgebiet und trete vor allen möglichen Gerichten auf. Ich kann so viele Sachen machen, die ich als Angestellte im öffentlichen Dienst nie machen könnte. Da hätte ich zwar einen sicheren Job und jeden Monat mein Geld auf dem Konto – aber das habe ich ja jetzt trotzdem. Und dabei viel mehr Freiheiten! Also ich möchte es nicht mehr ändern.

Teil 2 und Schluss unseres Interviews: „Natürlich ist meine Blindheit auch ein Alleinstellungsmerkmal“ – Ein Aha-Erlebnis mit Bill Clinton und Herausforderungen im Sushi-Laden.

Pamela Pabst über die Corona-Pandemie

Pamela Pabst hat wie andere Menschen ohne Sehvermögen unter der Corona-Pandemie ganz besonders zu leiden. „Das Maskentragen ist gerade für jemanden, der nicht gut sieht, schwierig, denn es schränkt das Orientierungsvermögen ein. Das Gefühl auf der Haut lenkt total davon ab, sich mit seiner räumlichen Umgebung auseinanderzusetzen“, sagte die Berlinerin der Deutschen Presse-Agentur. Sie kriege es zwar hin, doch es sei eben lästig.

Die Strafrechtlerin fügte hinzu: „Was ich auch sehr bedauere, ist, dass man Abstand hält. Man gibt einander nicht mehr die Hand oder streicht jemandem über den Arm. Dadurch habe ich das Gefühl, dass ich distanziert und unfreundlich wirke – obwohl ich das ja gar nicht sein möchte.“ Mittlerweile sehne sie sich wie andere wieder stark nach Normalität, erklärte die 43-Jährige. „Mal wieder draußen sitzen, im Lokal etwas essen – einfach ganz normale Dinge tun.“

(RP)

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ROLLINGPLANET ist seit 2012 Deutschlands Onlinemagazin für Menschen mit Behinderung und alle anderen. ROLLINGPLANET ist ein Non-Profit-Projekt, realisiert vom Verein Menschen, Medien und Inklusion e.V., München. Mehr über unser Team erfahren Sie hier.

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