Ihr blendendes Aussehen wurde für sie zum Fluch. Jahrelang feierte Hollywood die Österreicherin Hedwig Kiesler als die schönste Frau der Welt, die in harmlosen Filmchen das Bild der ewigen Verführerin verkörperte. Von ihren revolutionären Erfindungen wollte dagegen niemand etwas wissen. Die Anerkennung für ihre Pionierarbeit eines geheimen Kommunikationssystems zur Zeit des Zweiten Weltkrieges blieb ihr lebenslang verwehrt. Sie kämpfte um Akzeptanz, suchte nach Liebe, um sich schließlich doch dem äußeren Druck zu beugen – und daran zu zerbrechen. Gezeichnet von Drogen und den Enttäuschungen des Lebens ließ sie in ihren späteren Jahren keine Menschen mehr an sich heran und traute sich nicht mehr vor die Türe. Denn zahlreiche Schönheitsoperationen hatten von ihrer früheren Erscheinung nicht mehr viel übriggelassen. Eine Zeitreise durch ein Leben voller Extreme.
„Was jemand denkt, ist wichtiger als sein Aussehen. Die Leute denken, ich sei ein dummes Ding“
Wohlhabend und behütet wuchs Hedwig Kiesler als Tochter assimilierter Juden in einem eleganten Viertel im 19. Wiener Bezirk auf. Mit ihrem Vater Emil, einem Bankdirektor, teilte sie die Liebe zu technischen Dingen. Zusammen erkundeten sie die Funktionsweise der elektrischen Eisenbahn und tauchten in die Welt der Erfindungen ein. Er erklärte ihr, so erinnerte sie sich später schwärmerisch, wie die Welt funktioniert. Hedwig ging auf eine Privatschule, liebte das Fach Chemie und besuchte regelmäßig die Oper und das Theater. Bald wurde sie sich ihrer erotischen Wirkung auf andere Menschen bewusst und testete sie aus. In einem Interview bezeichnete sie sich später als „Enfant terrible“. Sie wollte so sein wie die erfolgreichen Frauen in ihrem Umfeld, Tänzerinnen, Künstlerinnen und Fotografinnen, die Freiheiten genossen, von denen Frauen aus der bürgerlichen Schicht nur träumen konnten.
Skandal Nr. 1: Der erste Orgasmus auf der Kinoleinwand
Mit 16 Jahren ließ sie sich erstmals nackt ablichten und beschloss, Schauspielerin zu werden. Schnell bekam sie ihre erste Statistenrolle und sorgte 1933 mit der österreichisch-tschechischen Produktion „Ekstase“ für den ersten Sex-Skandal der Filmgeschichte. Sie spielte den ersten Orgasmus auf der Kinoleinwand – so etwas hatte es bis dahin noch nie gegeben. Der Papst schaltete sich ein, Hitler verbot weitere Vorführungen, die 19-jährige Hedwig Kiesler war weltberühmt. Tragischerweise wurde die jugendliche Sex-Einlage zur Rolle ihres Lebens, aus der sie sich nie mehr würde befreien können. Dabei habe man sie bei dieser Szene mit einer Stecknadel in den Hintern gestochen, erzählte sie später.
Ihr erster Ehemann, der mit den Nazis sympathisierende und 14 Jahre ältere Rüstungsfabrikant Fritz Mandl, kam mit dem Schmuddelstreifen seiner schönen Frau nicht zurecht. Von Eifersucht geplagt kaufte er sämtliche Kopien von „Ekstase“ auf, kurbelte dadurch jedoch zusätzlich die Produktion an. Zwar schmückte er sich gerne mit Hedwig, ließ jedoch ihre Telefonate von den Dienstmädchen abhören und unterstellte ihr eine Affäre nach der anderen. Schnell wurde sie in ihrem goldenen Käfig unglücklich. Gleichzeitig war 1937 der Zweite Weltkrieg unabwendbar und die Situation für Juden immer gefährlicher. Der Tod ihres geliebten Vaters, dem die Nazi-Herrschaft sehr zu schaffen gemacht hatte, war für Hedwig der entscheidende Wendepunkt, um ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen.
Flucht aus dem goldenen Käfig des Patronenbarons
Den Erzählungen nach verkleidete sie sich als Dienstmädchen, versteckte ihren Schmuck im Futter ihres Mantels und flüchtete während einer Dinner-Party mit dem Fahrrad. In England fand sie sicheren Unterschlupf bei Freunden und lernte den amerikanischen Filmproduzenten Louis Burt Mayer kennen, den Mitbegründer der MGM Studios. Er war nach Europa gekommen, um all die Schauspieler zu verpflichten, die vor den Nazis geflohen waren. Selbstbewusst lehnte Hedwig ein erstes Angebot von 125 Dollar die Woche ab, um schließlich ein Engagement für 500 Dollar pro Woche zu bekommen – und ihren neuen Hollywood-Namen: Hedy Lamarr.
Sechs Ehen, Affären mit Frauen und Männern
In der Traumfabrik genoss sie ihre Freiheit und avancierte schnell zum Star – allerdings wegen ihres Aussehens und nicht wegen ihrer Fähigkeiten als Schauspielerin. Von MGM als „schönste Frau der Welt“ vermarktet, wurde sie als Stilikone und Sexsymbol verehrt, ihr Gesicht war Vorbild für Disneys Schneewittchen und Catwoman. Sie hatte zahlreiche Affären mit Männern und Frauen, heiratete ein zweites Mal – und wurde betrogen „Du weißt nie, ob sie dich oder nur ihre Vorstellung von dir lieben“, sagte sie. Sie sollte vier weitere Male heiraten, einen Jungen adoptieren und zwei eigene Kinder bekommen.
In Hollywood arbeitete Hedy sechs Tage die Woche bis spät in die Nacht – doch für ihre große Leidenschaft, die Erfindungen, fand sie immer Zeit. So ging sie nach einem harten Tag nicht etwa nach Hause – sie arbeitete in ihrem kleinen Labor, das sie sich in ihren Wohnwagen am Set einbauen ließ. Den erfolgreichen Flugzeug-Designer Howard Use verblüffte sie mit ihrer Idee, Flugzeuge schneller zu machen. „Ich fand, die Flügel sollten nicht rechtwinklig sein. Ich kaufte ein Buch über Fische und eines über Vögel. Dann nahm ich den schnellsten Fisch und verknüpfte ihn mit dem schnellsten Vogel. Ich zeichnete sie übereinander. Er sagte: Du bist genial“, erzählte sie. In dieser Zeit erfand sie auch einen Brausewürfel, der Wasser in sprudelnde Cola verwandelte.
Hedys revolutionäres Frequenzsprungverfahren – doch das Militär wollte es nicht
1940 tobte der Krieg in Europa. Gemeinsam mit ihrem Freund, dem Komponisten George Antheil, der ebenfalls ein engagierter Gegner der Nazis war, überlegte Hedy Lamarr, wie man die USA im Kampf gegen Hitler unterstützen könnte. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen waren die deutschen U-Boote, die quasi unsinkbar waren, da sie die veralteten Torpedos ihrer Gegner mühelos ausmanövrieren konnten. Lamarr und Antheil erfanden eine Technik, die Unterwasserwaffen mit einem sicheren Kommunikationssystem auszustatten, so dass die über Funk gesteuerte Verbindung von außen nicht mehr verfolgt werden konnte. Ihre Idee: Torpedo und Steuerelement sollten ständig und zeitgleich die Frequenz wechseln. Für ihre Methode nutzten sie das Prinzip von Lochkarten, wie sie zum Steuern von automatischen Klavieren genutzt werden. Ihr Frequenzsprungverfahren wurde 1942 patentiert und die beiden wollten es dem Militär kostenlos zur Verfügung stellen. Doch das lehnte ab. Schließlich war es ausgeschlossen, dass eine Hedy Lamarr eine kluge Erfinderin sein konnte. Das Patent landete im Safe und sie befolgte stattdessen den Rat des Militärs, sie solle doch Kriegsanleihen verkaufen, dies sei das Beste, was sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten tun könne. Das tat sie dann auch – im Wert von 25 Millionen Dollar. Jahre später, während der Kuba-Krise 1962, kam das Frequenzsprungverfahren dann doch zum Einsatz – doch da war Lamarrs und Antheils Patent längst erloschen.

In den 40er Jahren gehörte Hedy Lamarr zu den erfolgreichsten Schauspielerinnen in Hollywood. Bekannt wurde sie vor allem durch „Der Draufgänger“ (1940) oder „Samson und Delilah“ (hier im Bild, 1949). (Foto: unbekannt)
Sie produzierte ihren eigenen Film – und wurde ignoriert
Und so schlüpfte sie wieder in die Rolle ihres Lebens und spielte zur Ablenkung für die Soldaten in drittklassigen Filmen die anrüchige Femme fatale. Hedy Lamarr wusste, dass Filmproduzent Louis Burt Mayer sie für eine schlechte Schauspielerin hielt und sie wegen „Ekstase“ immer noch als leichtes Mädchen abstempelte. Als Feministin und ihrer Zeit weit voraus wollte sie sich das nicht weiter gefallen lassen und produzierte 1946 ihren eigenen Film, in dem sie alle drei Hauptrollen spielte. Sie investierte Millionen, aber kein Verleiher wollte den Film haben. Hedy Lamarr war pleite und am Rande eines Nervenzusammenbruchs.
Im Laufe der kommenden Jahre wurde sie psychisch immer instabiler und unberechenbarer. Ihre jahrzehntelange Abhängigkeit von Aufputschmitteln und Tabletten, die ihr der berühmte „Dr. Feelgood“, dem 1975 die Approbation entzogen wurde, als besondere „Vitaminelixiere“ verabreicht hatte, forderte ihren Tribut. Hedy Lamarr hatte die Kontrolle über sich verloren und war Opfer des Systems geworden, das sie berühmt gemacht hatte.
Ladendiebstahl – ihr persönlicher Tiefpunkt
Jede Menge Schönheitsoperationen, durch die sie ihren einstigen Glamour wiedererlangen wollte, zerstörten ihr Gesicht. 1966 wurde sie wegen Ladendiebstahls verhaftet. Die Leute zogen über sie her, die Presse titelte: „Sie ist alt und hässlich“. Hedy Lamarr zog sich komplett zurück. In einem späten Interview sagte sie, sie habe Sehnsucht nach Wien und all den schönen Dingen, die sie als Kind gesehen habe, wie die Oper, die Spanische Reitschule oder Schloss Schönbrunn. Drei Jahre vor ihrem Tod erfuhr sie dann doch noch ein wenig Anerkennung. Die „Electronic Frontier Foundation“ zeichnete sie 1997 mit dem „Pioneer Award“ für ihre wegweisende Funktechnologie-Erfindung aus. Nichtsdestotrotz verdiente sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2000 keinen einzigen Cent an ihrer Erfindung.
Mit 85 Jahren starb Hedy Lamarr allein in ihrer Wohnung in Florida – sie soll einfach eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht sein. Ihr letzter Wunsch war die Rückkehr nach Wien, wo sie auf dem Zentralfriedhof in einem Ehrengrab bestattet und ein Teil ihrer Asche im Wienerwald verstreut wurde.
* 9. November 1914 in Wien, Österreich; † 19. Januar 2000 in Florida, USA
Der jüngeren digitalen Generation ist es zu verdanken, dass Hedy Lamarr heute vor allem als geniale Erfinderin und „Lady Bluetooth“ bekannt ist. Nachdem sie gestorben war, entdeckten Leute aus der Kommunikationsbranche, wie revolutionär ihr Frequenzsprungverfahren ist, das heute längst seinen Weg in die GPS- und WLAN-Technologie und Bluetooth gefunden hat. Sogar im Milstar-Satellitensystem, das dem US-Präsidenten eine sichere Kommunikation ermöglicht, wurde Hedys patentiertes Frequenzsprungverfahren implementiert. Google feierte 2015 Hedy Lamarrs Geburtstag mit einem Google Doodle, um ihre Leistungen in Wissenschaft und Technik zu ehren.
Dieser Bericht erscheint in unserer Rubrik „Heute mal nicht behindert“ – was aber eigentlich gar nicht zutrifft: Heddy Lamarr war nicht behindert, wurde aber, wie unser Text zeigt, sehr wohl behindert und diskriminiert. Ein Phänomen, das viele Menschen mit Behinderung kennen.
(RP)

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