Mehr als eine halbe Million Beschäftigte der Chemie- und Pharmaindustrie in Deutschland haben ab der neuen Woche Anspruch auf eine brancheneigene Pflege-Zusatzversicherung. Die Arbeitgeber zahlen dabei Extra-Prämien für die Arbeitnehmer, um die Kosten im Fall späterer Pflegebedürftigkeit über die Leistungen der gesetzlichen Pflegekassen hinaus besser abzudecken. Das Modell war in der letzten Tarifrunde zwischen der Gewerkschaft IG BCE und dem Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) Ende 2019 vereinbart worden. Es greift von heute an nun in einer ersten Stufe.
Bis zu 1.000 Euro ohne Gesundheitsprüfung
Laut den Verhandlungspartnern ist „Careflex“ die bundesweite erste Form ergänzender Pflegeabsicherung für einen ganzen Wirtschaftszweig. So wolle man drohenden Lücken in der Finanzierung der Pflege in der alternden Gesellschaft vorbeugen. Die Basisleistung ist ein „fest vereinbartes Pflege-Monatsgeld“ von 300 Euro, sollte ambulante Versorgung nötig werden. Für stationäre Pflege sind es 1.000 Euro pro Monat. Eine gesonderte Gesundheitsprüfung müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Eintritt in die Zusatzversicherung nicht vornehmen lassen.
Grundsätzlich dürfen alle rund 450.000 Tarifbeschäftigten „Careflex“ nutzen. Voraussetzung ist eine Mindestzeit von einem halben Jahr im Betrieb. Hinzu kommen können schrittweise etwa 130.000 außer Tarif Bezahlte und leitende Angestellte – zum Start sind es aus dieser Gruppe zunächst 90.000. Am Ende soll die überwiegende Zahl aller Belegschaftsmitglieder in den gut 1900 deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen über das neue Konzept pflegeversichert sein.
Der vom Arbeitgeber übernommene Pro-Kopf-Monatsbeitrag beläuft sich in der Grundvariante auf 33,65 Euro. Falls ab Anfang 2024 Erhöhungen oder veränderte Leistungen beschlossen werden sollen, bedarf dies der Zustimmung eines Treuhänders, der IG BCE und des Arbeitgeberverbands. Die Zusatzversicherung selbst wird von einem Konsortium gemanagt.
Familienmitglieder können mitversichert werden
Beschäftigte können die Leistungen freiwillig weiter aufstocken und Familienmitglieder mitversichern. Dann sind allerdings zusätzliche Gesundheitsprüfungen erforderlich. IG-BCE-Vizechef Ralf Sikorski sagte, es zeige sich schon „eine rasante Ausdehnung“ des Modells auch auf höhere Gehaltsgruppen. BAVC-Chef Klaus-Peter Stiller erklärte:
„Die eigene Pflege oder die der Angehörigen wird uns in den nächsten Jahren immer stärker fordern.“
Das Thema sei oft „unter dem Radar“. Die Gewerkschaft IG-BCE hat ebenfalls ein Erklärvideo für Mitarbeiter der Branche veröffentlicht:
Kritik an Reform der gesetzlichen Pflegeversicherung
Die Reform der gesetzlichen Pflege wurde vom Bundestag in der vorletzten Woche verabschiedet und am Freitag auch von den Ländern im Bundesrat abschließend gebilligt. Ein Kernziel des Pakets ist es, Pflegebedürftige von hohen Zuzahlungen im Heim zu entlasten.
Dafür soll es ab Januar 2022 Zuschläge geben, die den Eigenanteil für die unmittelbare Pflege senken. Der Bund gibt vom kommenden Jahr an außerdem eine Milliarde Euro als Zuschuss in die Pflegeversicherung. Parallel dazu wird der Pflegebeitrag für Kinderlose von 3,3 auf 3,4 Prozent des Bruttolohns angehoben. Zu der Reform zählt überdies eine bessere Entlohnung von Pflegekräften in einem Tarifsystem.
Die Fachverbände kritisieren die Reform heftig. Diese sei nicht nachhaltig und biete keine langfristige strukturelle und finanzielle Absicherung der Pflege. Der Sozialverband vdk bezeichnete die Novelle als „unausgegoren“ – durch die mangelnde Gegenfinanzierung landeten die Kosten am Ende bei den Pflegebedürftigen. Für die soziale Pflegeversicherung fielen 2022 mit der Reform 3,14 Milliarden Euro Mehrkosten an, für 2023 bereits 3,66 Milliarden Euro. Auf der Einnahmeseite stünden eine Milliarde Bundeszuschuss und 0,4 Milliarden Euro aus dem Zuschlag für Kinderlose.
Zusätzlich werde mit Einsparungen in Milliardenhöhe durch die Aussetzung der Leistungsdynamisierung getrickst, monierte der VdK. Die Gesamtkosten des Pflegepakets lägen geschätzt bei sechs Milliarden Euro, nur 1,4 Milliarden Euro seien solide gegenfinanziert, 1,8 Milliarden Euro stammten aus einer Umwidmung verplanter Gelder. Angesichts dieser Unterdeckung sei es Zeit, über eine tiefgehende Finanzierungsreform der Pflege nachzudenken.
(RP/dpa/PM)

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