Mitte Juli 2021 kam es in Teilen Deutschlands zu extremen Unwettern, die durch das Tiefdruckgebiet Bernd ausgelöst wurden. Am schlimmsten waren Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen betroffen.
Am 14. Juli 2021 und in der Nacht auf den 15. Juli 2021 fielen in Teilen der beiden Bundesländer innerhalb von 24 Stunden 100 bis 150 Liter Regen pro Quadratmeter. Der Großteil der Wassermassen prasselte in einem kurzen Zeitfenster von zehn bis 18 Stunden herab. Infolge des Starkregens kam es in den betroffenen Regionen zu Sturzfluten und massiven Überschwemmungen, die zu Toten und enormen Schäden führten.
Keine adäquate Vorwarnung
Über diese Hochwasser- und Flutkatastrophe wurden viele Menschen dieser Regionen – darunter auch Gehörlose und andere Menschen mit Hörbehinderungen – nicht rechtzeitig gewarnt. Diese Menschen waren nicht darauf vorbereitet, wie groß die Bedrohung wirklich war, konnten sich nicht darauf einstellen und wurden vom Ausmaß der Katastrophe überrascht. Die akustischen Sirenen und Lautsprecherdurchsagen vor Ort – wenn es sie überhaupt gab – hörten die Gehörlosen überhaupt nicht.
Leider hatten auch die beiden Bundes-Warn-Apps Nina und Katwarn nicht ausreichend vor dem massiv ansteigenden Wasserpegel und der drohenden Flutkatastrophe gewarnt. Die Bundes-Notruf-App Nora wurde Ende Juli 2021 nicht eingeführt – stattdessen wurde der Start der App erneut auf das Ende des dritten Quartals 2021 verschoben. Bei den öffentlich-rechtlichen TV-Sendern fehlten im linearen Fernsehen Gebärdensprachdolmetschereinblendungen in Echtzeit.
Verletzung der UN-Behindertenrechtskonvention
Der Deutsche Gehörlosen-Bund (DGB) kritisiert diesen mangelhaften Katastrophenschutz in Deutschland massiv und wirft den Verantwortlichen ein Versagen des Warnsystems sowie eine Verletzung des Artikels 11 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) vor.
Der Artikel 11 der UN-BRK verpflichtet Deutschland, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um in Gefahrensituationen, einschließlich bewaffneter Konflikte, humanitärer Notlagen und Naturkatastrophen, den Schutz und die Sicherheit von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten.
Laut der EU-Richtline „Europäischer Kodex für elektronische Kommunikation“ (EECC) werden die EU-Länder bis zum 21. Juni 2022 ein öffentliches Warnsystem einrichten, um den Bürgern Warnhinweise auf ihre Mobiltelefone zu senden, und zwar in Fällen von Naturkatastrophen oder bei anderen Katastrophenfällen in ihrer Region.
Der DGB fordert ein verbessertes und sicheres Warnsystem nach dem Zwei-Sinne-Prinzip (auditiv-visuell) und die Einführung eines Katastrophen-Warnsystems durch Cell-Broadcast-Technologie, um eine Warnnachricht auf alle Handys aller Menschen mit und ohne Behinderungen in einer gefährdeten Region zu schicken.
In Deutschland wird diese Cell-Broadcast-Technologie, die seit den 1990er Jahren besteht, bisher nicht genutzt. Begründet wird dies damit, dass es aus Datenschutzgründen nicht erlaubt sei. In Japan wird etwa per Cell Broadcast vor Erdbeben gewarnt, in den USA vor Tornados und anderen Wetterextremen, und auch in einigen europäischen Ländern wie Griechenland, den Niederlanden und Litauen wird die Technik verwendet.
DGB sieht Verbesserungsbedarf
Der Deutsche Gehörlosen-Bund begrüßt zwar die Beschlüsse der Bundeskanzlerin und der Regierungschefs der Länder zur Bewältigung der Hochwasserkatastrophe und der Aufrüstung des Sirenennetzes für 88 Millionen Euro – dem Zwei-Sinne-Prinzip solle jedoch mehr Beachtung geschenkt werden.
Zudem befürwortet der Gehörlosen-Bund die Einführung des auf Cell Broadcast basierenden Warnsystems voraussichtlich ab dem Sommer 2022.
Bereits 2013 hat der DGB ein Konzeptpapier entwickelt, wie Gehörlose barrierefrei gewarnt werden könnten. Dieses können Sie hier als PDF downloaden.
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(RP/PM)

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