Mit ihrem Rollstuhl ist Tina Schmidt-Kiendl flotter als mancher Fußgänger. Und Muskelkater in den Armen hat sie schon lange nicht mehr. Trotzdem reicht bereits eine zu hohe Bordsteinkante, dann fühlt sich die Bayerin buchstäblich behindert.
Doch es gibt einen Ort, an dem sie sich trotz ihrer nach einem Bandscheibenvorfall bewegungslosen Beine genauso mobil fühlt wie alle anderen: am Steuer ihres Mini. Selbst wenn sie mit den Händen beschleunigt und bremst. „Autofahren ist für mich deshalb Freiheit“, sagt die 46-jährige Mitarbeiterin der BMW M GmbH.
Souveränität und Sicherheit vermitteln
Tina Schmidt-Kiendl möchte, dass auch andere Menschen mit Behinderung diese Form der Freiheit bestmöglich genießen können. Deshalb hat sie bei ihrem Arbeitgeber das nach ihren Angaben erste eigene Fahrertraining für Menschen mit Handicap entwickelt. Dort will sie den Teilnehmenden die nötige Souveränität und Sicherheit vermitteln, auf die gerade Menschen mit Behinderung im Auto angewiesen sind.
„Natürlich will niemand in einen Unfall verwickelt werden“, sagt die Trainerin.
„Aber wir müssen besonders aufpassen und auch für die anderen mitdenken. Denn oft können sich Behinderte nicht ohne fremde Hilfe aus dem Auto befreien.“
Von Handgas bis Totalumbau
Schmidt-Kiendl könnte damit einen Nerv getroffen und eine wichtige Nische gefunden haben. „Denn es sitzen mehr Menschen mit Handicap im Auto, als man vermuten könnte“, sagt sie.
Möglich machen das laut Achim Neunzling vom Bund behinderter Auto-Besitzer (BbAB) in Bexbach spezielle Umbauten, mit denen die körperlichen Einschränkungen technisch kompensiert werden. Das reicht von Nachrüstungen wie einem Ring vor dem Lenkrad fürs Gas bis zu einem Handhebel für die Bremse wie bei den Autos aus Schmidt-Kiendls Fahrertraining. Auch breitere Türen mit Hebevorrichtungen für den Rollstuhl bis hin zu Komplettumbauten sind möglich.

Motivationstrainer Janis McDavid kam ohne Arme und Beine zur Welt. Seine Mobilität lässt er sich aber nicht nehmen. (Foto: IMAGO/biky)
Wie weit das gehen kann, zeigt ein Umbau für Janis McDavid. Der Motivationstrainer ist ohne Arme und Beine auf die Welt gekommen. Über eine Rampe kann der 30-Jährige mit seinem Rollstuhl in den Fond seines Mercedes Sprinter fahren. Von dort aus klettert er hinter das Lenkrad und steuert den Wagen mit einem kleinen Joystick, den er sich unter die Schulter klemmt.
McDavid macht davon reichlich Gebrauch: Über 300.000 Kilometer hat er nach eigenen Angaben schon absolviert.
Hersteller und spezielle Umrüster bieten Lösungen an
Entwickelt werden solche teilweise standardisierten oder – wie bei McDavid – extrem individualisierten Lösungen von Umrüstern und Reha-Betrieben. Von denen listet der ADAC in Deutschland über 50 auf. Zudem bieten einige Fahrzeughersteller entsprechende Fahrhilfen ab Werk als Sonderausstattung an. Dabei gehen natürlich nicht alle Umbauten wie bei McDavids Sprinter ins Sechsstellige.
„Aber 7.000 Euro allein für den Handbetrieb von Gas und Bremse sowie den Bediensatellit kommen schnell zusammen“,
sagt Lobbyist Neunzling.
Doch gibt es für die Mobilität mit Handicap nicht nur medizinische und technische Hürden, sondern vor allem reichlich Bürokratie. „So vielfältig wie die Art einer körperlichen Einschränkung oder Behinderung sein kann, so vielfältig sind auch die gesetzlichen Grundlagen und individuellen Regelungen, die allen Menschen in unserer Gesellschaft selbstbestimmte Mobilität ermöglichen sollen“, schreibt der ADAC in einem Ratgebertext zum Thema.
Individuelle Mobilität kann teuer werden
BMW-Trainerin Schmidt-Kiendl formuliert es drakonischer:
„Man muss lange suchen, bis man die richtigen Ansprechpartner findet und hat dann jede Menge Papierkram zu erledigen, bevor die Behinderung im Führerschein und die Umbauten im Fahrzeugschein eingetragen sind. Und sich im besten Fall auch noch jemand an den Kosten für das ganze beteiligt.“
Zwar räumen die allermeisten Fahrzeughersteller laut Neunzling gegen Vorlage des Behindertenausweises bis zu 30 Prozent Rabatt ein. Und nach Angaben des ADAC werden Behinderte bestimmten Grades teilweise oder vollständig von der Kfz-Steuer befreit. Doch reiche das in den seltensten Fällen, um die Mehrkosten zu decken.
Deshalb müssen Menschen mit Behinderung von der Arbeitsagentur oder Rentenkasse ihren Anspruch auf Zuschüsse, Beihilfen und Kostenzusagen prüfen lassen – und bekommen dabei nur unter bestimmten Voraussetzungen ausreichend Unterstützung.

Dirigieren mit den Händen: Tina Schmidt-Kiendl bedient ihren BMW mit einem zusätzlichen Ring fürs Gas und einem Hebel für die Bremse. (Foto: Bernhard Filser/BMW AG/dpa-tmn)
Immerhin wurde im Zuge einer gemeinsamen Initiative des BbAB und dem Verband der Automobilindustrie (VDA) der maximale Förderbetrag nach der Kraftfahrzeug-Hilfeverordnung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von 9.500 auf 22.000 Euro erhöht.
Allerdings ist diese Förderung nur bei Menschen in einem Arbeitsverhältnis möglich. Für Personen außerhalb der Arbeitswelt wie Kinder oder Rentner existiert keine gesetzliche Grundlage für eine finanzielle Fahrzeughilfe zur Teilnahme am gesellschaftlichen oder kulturellen Leben, kritisierte BbAB-Vorsitzender Neunzling im Juli.
„Das Recht auf Mobilität ist in der UN-Charta für Menschenrechte verankert“, sagt Neunzling. „Aber es steht nirgendwo geschrieben, dass dies im eigenen Auto sein muss.“ Oft gebe es nur einen monatlichen Etat von 100 bis 150 Euro für einen Fahrdienst.
Es darf auch Spaß machen
Für Schmidt-Kiendl kam ein Fahrdienst nicht in Frage. Als Mitarbeiterin eines Autoherstellers und Instruktorin auf Handlingkursen und Rennstrecken hat sie sich noch aus der Reha heraus um einen aktualisierten Führerschein und einen entsprechenden Umbau ihres Autos gekümmert – und nur vier Jahre nach ihrer Erkrankung die ersten Trainings für andere abgehalten.
Dabei geht es zwar vor allem um die Fahrzeugbeherrschung in Gefahrensituationen, ums richtige Lenken und Bremsen und um die Einschätzung der anderen, berichtet die Trainerin.
Doch stehen im Fuhrpark nicht umsonst lauter hochmotorisierte Modelle vom Mini John Cooper Works bis zum BMW M3 und M4. Vom Übungsgelände hört man hin und wieder das schrille Quietschen der Reifen. Und manchmal riecht man ein bisschen verbranntes Gummi.
(RP/dpa/tmn)

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