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Bildung & Karriere

Ein Kellner im Rollstuhl – echt?

Nach einem schweren Motorradunfall ist der Südtiroler Alexander Senoner (30) querschnittsgelähmt. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, seinen früheren Beruf als Restaurantleiter wieder aufzunehmen – nur anders als früher. Heute berät er seine Gäste vom Rollstuhl aus. Und kommt richtig gut an. Ein Interview von ROLLINGPLANET-Redakteurin Anke Sieker

Alexander Senoner bei der Arbeit mit einer Flasche Wein in den Händen
Der Südtiroler Alexander Senoner ist nach seinem Unfall wieder als Restaurantleiter tätig. (Foto: privat)

„Mein Job ist meine Passion und ein Teil von mir“

Im September 2020 sind Sie bei einem Motorradunfall schwer verletzt worden. Seitdem sind Sie vom vierten Brustwirbel abwärts gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Was genau ist passiert?

Der Unfall passierte auf einer Strecke im Zentrum von Meran, kurz vor einem Kreisverkehr. Ich fuhr auf der linken Fahrspur, und dann ist von der rechten Fahrspur ein anderes Fahrzeug scharf links abgebogen, hat mir die Vorfahrt genommen, den Weg abgeschnitten und mich dabei voll erwischt.

Das heißt, Sie sind nach dem Zusammenprall auf den Rücken gestürzt?

Beim Aufprall bin ich auf der Brust/dem Oberkörper gelandet. Ich hatte auf dem Rückweg zwei Weinflaschen eingekauft, und die hatte ich in meinem Rucksack. Die sind aber beim Aufprall komischerweise nicht zerbrochen.

Was ist Ihnen in dem Moment durch den Kopf gegangen?

Ich habe sofort gedacht, dass ich verletzt sein würde, aber ich habe nicht gedacht, dass es so extrem sein würde. Kurz darauf habe ich gemerkt, dass meine Beine nicht mehr richtig funktionierten und bereits geahnt, dass etwas Schlimmeres passiert ist.

Haben Sie den Unfall bei vollem Bewusstsein mitbekommen?

Der Sturz ist das einzige, was in meiner Erinnerung fehlt. Danach bin ich relativ schnell wieder zu mir gekommen und habe mitbekommen, wie mich die Sanitäter abtransportierten, ins Krankenhaus einlieferten und ich dort unter Narkose gesetzt wurde.

Danach wurden Sie an der Wirbelsäule operiert?

Ja

Wie lange fahren Sie schon Motorrad?

Schon einige Jahre

„Man muss sich selber ständig motivieren“

Wie hat sich Ihr Leben seit dem Unfall verändert?

Das Leben verändert sich komplett. Es war eine totale Umstellung – in der Arbeitswelt, der sozialen Welt, auch vom Wohntechnischen. Heute muss ich bei allem, was ich mache, sei es Einkaufen oder Essen gehen, vorher zweimal nachdenken, wie ich es bewerkstellige.

Mussten Sie umziehen?

Ja, in eine barrierefreie Wohnung

Wie ging es Ihnen psychisch nach dem Unfall?

So ein Unfall ist schon eine harte Probe, die schwierig zu akzeptieren ist. Es ist ja ein Unterschied, ob ich einen Unfall selber verursache oder er durch Fremdeinwirkung geschehen ist. Ich habe also einer fremden Person zu „verdanken“, dass ich jetzt im Rollstuhl sitze. Das muss man erstmal verarbeiten. Ich war sozusagen im falschen Moment am falschen Ort. Ein übler Schicksalsschlag und eine Begegnung, die mein Leben komplett aus der Bahn geworfen hat.

Wie hat der Verursacher reagiert?

Es war ein Mann Ende 50. Ich habe keinen Kontakt zu ihm, habe auch telefonisch nie etwas von ihm gehört, auch keine Entschuldigung. Aber, ehrlich gesagt, habe ich auch nicht das Bedürfnis, mit ihm zu sprechen. Alles Weitere klären die Versicherung und Anwälte.

Alexander Senoner beim Abendessen mit seinem Bruder.

Sein Bruder Philipp (r.) ist für Alexander Senoner eine große Stütze. (Foto: privat)

Wie haben Sie Ihr positives Lebensgefühl wiedergefunden?

Eine ganz wichtige Rolle spielt dabei das familiäre und soziale Umfeld. Man muss sich auch selber ständig motivieren, immer wieder ins kalte Wasser werfen und neue Wege ausprobieren. Durch meine Reha in Bad Häring in Tirol, wo viele Jugendliche behandelt werden, habe ich viele Geschichten gehört, wir haben uns gegenseitig angespornt, auch das hat schon sehr geholfen. Wir waren eine richtig gute Clique dort, wo man sich menschlich akzeptiert und nicht gehandicapt gefühlt hat.

Wie lange waren Sie in der Reha?

Dreieinhalb Monate.

Wer war Ihre größte Stütze?

Familie und Freunde und auch mein Arbeitgeber, der mich stets angerufen und auch motiviert hat, wieder zu arbeiten.

„Einige Kollegen waren anfangs schockiert“

Ihr Chef, Otto Mattivi, vom Südtiroler Grill-Restaurant Hidalgo, hat Sie sogar überredet, dass Sie als Restaurantleiter zurückkommen, richtig?

Ja. Es ist natürlich sehr schön, dass Otto mir die Chance gegeben hat, wieder zurückzukommen. Er hat immer gesagt: „Du kannst jederzeit wiederkommen, schau’s Dir an und versuch’s einfach mal, im Rollstuhl zu arbeiten.“ Er und meine Kollegen haben mich auf jeden Fall sehr unterstützt. Und im Endeffekt hat’s dann auch ganz gut geklappt. Das Angenehme ist, dass das ganze Restaurant barrierefrei ist. Ob Terrasse oder Küche, ich komme überall heran.

Wie sieht Ihre heutige Arbeit aus?

Ich arbeite nach wie vor als Restaurantleiter – sowohl in unserem Grill- als auch in unserem weltweit einzigartigen Waghu-Restaurant Aomi, in dem die Gäste ein Fleisch-Tasting des kostbarsten und zartesten Fleisches, d.h. originales Kobe Beef, japanisches Kagoshima Wagyu vom Tajima-Rind und Wagyu aus Südtirol genießen können. Ich berate unsere Gäste, kümmere mich um die Bestellungen, die Weinempfehlungen und die Abrechnungen. Allein das Servieren überlasse ich jetzt meinen Kollegen. Im Grunde ist meine Arbeit dieselbe wie früher, ich kann mich aber heute mehr auf meine Gäste konzentrieren, weil ich keine Teller mehr tragen muss – was ich als sehr angenehm empfinde. Das heißt, meine Behinderung bringt auch Vorteile mit sich. (lacht)

Alexander Senoner mit zwei Kolleginnen.

Das Teamwork funktioniert sehr gut: Alexander Senoner mit seinen Kolleginnen Claudia und Christine. (Foto: privat)

Wie haben Ihre Kollegen und Gäste anfangs auf Sie reagiert?

Ich bin am 24. März nach Hause gekommen, am 6. April hatte ich Geburtstag. Da gab’s dann schon eine kleine Willkommensparty. Einige Kollegen waren anfangs natürlich schockiert und verunsichert. Das hat sich aber schnell gelegt. Ich war ja schon im Dezember 2020 für zehn Tage über Weihnachten zu Hause. Da haben mich auch schon einige Arbeitskollegen, die auch zu meinen Freunden zählen, gesehen und inzwischen an meinen Zustand gewöhnt. Was die Arbeit betrifft, war auch relativ schnell klar, was ich machen kann, was nicht. Die Teamarbeit im Restaurant ist sehr angenehm und meine Kollegen unterstützen mich sehr.

Von den Gästen ist die Reaktion sehr unterschiedlich. 99,9 Prozent haben natürlich noch nie einen Kellner im Rollstuhl gesehen. Einige unserer Stammgäste, die mich kannten, waren schon sehr geschockt, fanden es aber sehr cool, dass ich zurückgekommen bin. Viele meinten auch, dass sie es als sehr positiv empfinden, dass der Kellner im Rollstuhl auf Augenhöhe mit dem Gast ist, sie nicht von oben herab bedient, sondern Gast und Kellner auf der gleichen Ebene sind und dies ein persönlicheres Feeling sei.

„Schwarze Tage gibt es immer“

Hat Ihnen die Arbeit geholfen, in den Alltag zurückzufinden?

Mein Job ist meine Passion und ein Teil von mir. Insofern hat die Tatsache, dass ich wieder arbeiten konnte, schon sehr geholfen, in den Alltag zurückzukehren. Es kehrt wieder ein Stück Normalität im Leben ein, man hat eine Aufgabe und sieht, dass es immer weitergeht.

Hatten Sie zwischendurch Tiefpunkte, oder sind Sie ein Mensch, der generell eher positiv denkt?

Schwarze Tage gibt es immer – auch im „normalen“ Leben. Dann muss man eben schauen, wie man da wieder rauskommt. Viel wert ist es, wenn man an schlechten Tagen einen lieben Ansprechpartner hat.

Haben Sie eine Partnerin, die Ihnen zur Seite steht?

Ja – ich date jemanden.

Waren Sie vor dem Unfall fest liiert?

Nein, ich war Single.

Wo haben Sie Ihre Partnerin kennengelernt?

In der Reha. Sie war zu Besuch bei einem anderen Patienten. So haben wir uns kennengelernt und kennen uns inzwischen schon bald ein Jahr.

Was macht Sie beruflich?

Momentan arbeitet sie in einer Bäckerei. Ihre Identität bleibt noch ein Geheimnis.

Was ist aus Ihrer Leidenschaft fürs Motorradfahren geworden? Haben Sie eine Alternative dafür gefunden?

Es gibt schon Möglichkeiten, auch in meinem Zustand Motorrad zu fahren. Aber aus Rücksicht auf meine Familie lasse ich es lieber, auch wenn ich es gerne wieder versuchen würde.

D.h. Sie sind nicht durch den Sturz traumatisiert?

Nein, ich würde jederzeit wieder auf ein Motorrad steigen, denn natürlich vermisse ich das Motorradfahren. Nur werde ich es aber wohl an den Nagel hängen müssen, denn sonst hätte ich sicherlich die halbe Familie im Nacken.

Haben Sie Geschwister?

Meinen älteren Bruder Philipp, der mich auch sehr unterstützt.

„Wenn ich Hilfe brauche, gebe ich schon Bescheid“

Haben Sie eine andere Sportart für sich entdeckt?

Ich habe schon während der Reha viel ausprobiert. Schwimmen, Tauchen, Langlaufen, Biken und Rollstuhlbasketball. Ich weiß aber noch nicht genau, in welche Richtung ich einsteigen werde. Vielleicht werde ich demnächst auch Monoskifahren ausprobieren. Am meisten fühle ich mich jedoch zum Wasser hingezogen.

Was vermissen Sie am meisten an Ihrem früheren Leben?

Die 100-prozentige Selbstständigkeit, die Spontanität und Schnelligkeit. Heute erfordern selbst die kleineren, banalen Dinge viel mehr Kraftaufwand als früher.

Sind Sie jemand, der gerne Hilfe annimmt?

Ich bin jemand, der immer sehr eigenständig war, deshalb versuche ich möglichst ohne Hilfe auszukommen, selbstständig zu bleiben bzw. nur die nötigste Hilfe in Anspruch zu nehmen. Schon in der Reha hat es geheißen: ‚Hotel Mama gibt es hier nicht!‘ Ich bin auch nicht der Typ, der die Situation ausnutzt, um sich bedienen zu lassen. Oft fragen mich die Leute: „Brauchst Du Hilfe? Soll ich Dich schieben?“, aber ich lehne meistens ab. Wenn ich Hilfe brauche, gebe ich schon Bescheid.

Was sind Ihre Zukunfts-Pläne und Wünsche?

Alles auszukosten, was möglich ist. Ich bin ein Genussmensch – genieße alles, was mit Kulinarik und Kultur zu tun hat. Ich liebe es zu reisen und möchte mich auch sportlich neu orientieren. Das ist viel Neuland für mich, aber macht’s ja irgendwie auch spannend.

Haben Sie schon ein Reiseziel?

Ich würde sehr gerne mal Südafrika sehen. Ich bin allgemein sehr abenteuerlustig, setzte mich aber gern auch mal nur ins Auto und fahre spontan irgendwohin.

Letzte Frage: Wie geht es Ihnen heute im Vergleich zu der Zeit kurz nach dem Unfall?

Viel besser. Die Anfangszeit war natürlich unbeschreiblich hart – wenn man einfach nur daliegen und nichts tun kann. Man wacht auf, sieht auf seine Beine, will sie bewegen, aber es geht einfach nicht mehr. Plötzlich macht der Körper nicht mehr das, was der Kopf will. Also muss man von Tag zu Tag mit stetigem Training neu lernen, sich wieder einen Schritt weiter zu bewegen. So ähnlich wie bei einem Kleinkind, nur dass der Kopf erwachsen ist.

Haben Sie durch Ihren Unfall mehr Ängste entwickelt oder ganz im Gegenteil?

„Was habe ich denn noch zu verlieren?“

Vielen Dank für das Gespräch!

(RP)

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