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„Ein großes Versprechen“: ärgerlich, rückwärtsgewandt, verpasste Chance!

Dem Multiple-Sklerose-Drama wurde das Prädikat „besonders wertvoll“ verliehen. Völlig zu Unrecht – kritisiert die Behindertenaktivistin Dr. Siegrid Arnade.

Rolf Lassgard als Erik und Dagmar Manzel als Judith (Foto: Nikolai von Graevenitz/Tamtam Film)

Am 9. Juni kommt der neue Film „Ein großes Versprechen“ in die deutschen Kinos (ROLLINGPLANET berichtete). „Trotz toller schauspielerischer Leistung der beiden bekannten Hauptdarsteller*innen ist der Film einfach nur ärgerlich und der Kauf einer Kinokarte rausgeschmissenes Geld,“ kommentiert die Vorstandsvorsitzende der Stiftung LEBENSNERV, Dr. Sigrid Arnade.

Gezeigt wird ein Ehepaar zu Beginn des Rentenalters. Die MS-Erkrankung der Ehefrau verschlechtert sich, so dass sie bald auf einen Rollstuhl angewiesen ist. „Beide kämpfen gegen ihre eigene Unzufriedenheit und beginnen erst langsam zu verstehen, dass sie nur zusammen ihr wirkliches Glück finden können“, heißt es in der Ankündigung, was nach einem versöhnlichen Ausgang klingt. Tatsächlich lebt die Frau am Filmende in einem Pflegeheim, und das Ehepaar ist getrennt.

„Ein großes Verbrechen“

„Dem Film hätte man lieber den passenderen Titel ,Ein großes Verbrechen‘ geben sollen und nicht ,Ein großes Versprechen‘“, sagt Sigrid Arnade und begründet ihren Vorschlag: „Der Film vermittelt den Eindruck, als bedeute ein Leben im Rollstuhl das Ende jeglicher Selbstbestimmung und Lebensfreude und sei bestenfalls in einem Pflegeheim zu fristen, um die Gesundheit der Angehörigen nicht zu gefährden. Er spiegelt ein Denken aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Ich halte diese Botschaft für eine nicht zu entschuldigende Rücksichtslosigkeit allen Menschen mit MS und ihren Angehörigen gegenüber, die sich sowieso mit unsicheren Perspektiven, gesellschaftlichen Vorurteilen und einer zähen Bürokratie auseinandersetzen müssen.“

Arnade kennt aus eigener Erfahrung die Notwendigkeit, zur Fortbewegung einen Rollstuhl zu nutzen, was bei Multipler Sklerose (MS) häufig vorkommt. „Diese Perspektive ist für viele MS-Betroffene mit großen Ängsten verbunden“, weiß sie aus der Beratung anderer Betroffener. Deshalb müsse es das Ziel der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) als Interessenvertretung der Betroffenen sein, Ängste zu reduzieren und aufzuzeigen, wie ein gutes Leben mit Rollstuhl gelingen kann.

„Die Chance wurde leider vertan“

„Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum die DMSG diesen Film, der schon fast dazu geeignet ist, Depressionen auszulösen, in ihrem Mitgliedermagazin ´aktiv!´ bewirbt und ihn zum Welt-MS-Tag am 30. Mai als Preview gezeigt hat. Selbst wenn ein bedauerliches Einzelschicksal dargestellt werden sollte – warum auch immer –, hätten doch zumindest Alternativen aufgezeigt werden müssen. Die Chance, mit diesen exzellenten Schauspieler*innen einen wirklich guten zeitgemäßen Film zu drehen, wurde leider vertan“.

Dem Film wurde das Prädikat „besonders wertvoll“ verliehen. Auch das ist für Arnade nicht nachvollziehbar: „Schließlich rechtfertigt die in der Jury-Begründung angeführte ´exorbitant gute Schauspielerleistung´ doch nicht, es als vollkommen normal darzustellen, jemanden in ein Pflegeheim abzuschieben, nur weil er nicht laufen kann.“

Die Stiftungsvorsitzende schlägt vor, eine Fortsetzung des Films zu produzieren, in der die Ehefrau Juditha eine Peer-Beratung, einen passenden Rollstuhl und ein Empowerment-Training erhält, sich eine barrierefreie Wohnung sucht und dann selbstbestimmt über die weitere Gestaltung ihrer Beziehungen entscheidet.

(RP/PM)

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