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Wahrnehmungssache

Diskriminierung ist keine Werbebotschaft

Demütigende Aussagen wie „Mit einer Behinderung wirst du nicht gebraucht“ prangten im Oktober auf österreichischen Plakatwänden. Die Auflösung war wenig überraschend unterwältigend, meint ROLLINGPLANET-Kolumnistin Marlies Hübner.

ROLLINGPLANET-Kolumnistin Marlies Hübner
ROLLINGPLANET-Kolumnistin Marlies Hübner. (Foto: Mascha Seitz)
Unsere Kolumnisten schreiben unabhängig von ROLLINGPLANET. Ihre Meinung kann, muss aber nicht die der Redaktion sein.

Anfang Oktober tauchten in Wien und anderen größeren österreichischen Städten gelbe Plakate mit schwarzer Schrift auf. Darauf zu lesen: „Mit einer Behinderung wirst du nicht gebraucht“. Oder: „Älteres Personal einstellen lohnt sich nicht mehr“. Und vor Schulen entdeckte man Plakate mit der Botschaft, dass man ohne Matura nicht weit komme. Absender, Auftraggeber oder Initiator? Fehlanzeige. Auch eine Google-Suche gab keine Hinweise. Die Vermieterin der Werbeflächen hielt sich ebenso bedeckt. Es sei Teil der Kampagne, nichts zu verraten.

Plakat am Bahnhof: "Mit einer Behinderung wirst du nicht gebraucht."

Dieses und ähnliche Plakate waren in fast jeder größeren Stadt Österreichs zu sehen. (Foto: BIZEPS)

Ein paar wütende Tweets später erhielt ich von BIZEPS, einer Beratungsstelle für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörigen in Wien die Information, dass diese Plakate der erste Teil einer Teaserkampagne seien und bis zum 21. unaufgelöst bleiben sollten. Beinahe drei Wochen also sollten Menschen mit Behinderung bei jeder U-Bahnfahrt lesen, sie würden nicht gebraucht. Drei Wochen lang sollten sie in der Öffentlichkeit mit demütigenden und retraumatisierenden Botschaften konfrontiert werden. Egal, wie die Auflösung aussähe, wochenlang würden diskriminierende Aussagen unwidersprochen im öffentlichen Raum reproduziert werden. BIZEPS, sehr viele Twitter-User*innen und ich waren uns einig: Das geht auf keinen Fall. Der Werberat, der eine Rüge aussprach, sah das ähnlich, wie auch der österreichische Gesundheitsminister, der forderte, diese Plakate umgehend zu entfernen.

Der Druck von Twitter, Presse und Politik wurde zu groß: Die Supermarktkette BILLA gab sich als Urheberin zu erkennen und versprach, die zweite Kampagnenphase umgehend zu starten. Der zu REWE gehörende Lebensmitteleinzelhändler rechtfertigte sich: Man habe nur auf die Lage marginalisierter Gruppen am Arbeitsmarkt aufmerksam machen wollen. In der Auflösung würde sich zeigen, dass man sehr wohl diese Personen einstelle. Ob nur in der untersten Hierarchieebene oder auch auf Management- und Entscheidungspositionen, blieb dabei offen.

Gut gemeint ist nicht gut gemacht

Die Auflösung der diskriminierenden Plakate war wenig überraschend unterwältigend. Die neuen Sujets zeigten BILLA-Mitarbeiter*innen, die Shirts mit Botschaften wie “Mit einer Behinderung wirst du gebraucht” und “Älteres Personal einstellen lohnt sich” trugen. Man fragt sich: Warum nicht gleich so?

Plakatmotiv: Mann trägt Shirt "Mit einer Behinderung wirst du gebraucht." Es wird suggeriert, dass es ein Mitarbeiter mit Behinderung von BILLA ist.

Warum nicht gleich so? Die Auflösung der Plakatkampagne. (Foto: REWE Group)

Doch was war das Problem an der Teaser-Kampagne? Sie reproduzierte plump gesellschaftliche Vorurteile, ohne sie einzuordnen. Natürlich kann es manchmal Sinn machen, Vorurteile aufzugreifen – aber es bedarf großen Fingerspitzengefühls. Diese Teaser-Kampagne wählte die denkbar schlechteste Variante: Drei Wochen lang diskriminierenden Botschaften unwidersprochen ein Millionenpublikum zu verschaffen, und zu riskieren, dass sich ableistische Weltbilder verfestigen. Es ist kein Geheimnis, dass sich emotionale und provokante Botschaften sehr viel stärker im Gedächtnis verankern als Fakten.

Es ist unwahrscheinlich, dass irgendeine Art der Auflösung drei Wochen später stark genug gewesen wäre, diese widerliche Provokation vergessen zu machen. Überhaupt: In einer Zeit, in der die Grenzen des Sag- und Denkbaren immer weiter verschoben werden, ist eine Werbekampagne, die darauf ausgerichtet ist, über menschenverachtende Teaser zu funktionieren, keine gute Idee.

Zu Guter Letzt: Warum gab es keine ernsthafte öffentliche Entschuldigung für diese Kampagne? Das wäre das Mindeste von einem Unternehmen, das so konkret um diese Menschen wirbt und vorgibt, auf ihrer Seite zu stehen.

Marlies Hübner erhielt mit 27 Jahren die Diagnose Autismus. Die in Wien lebende Autorin betreibt unter www.robotinabox.de einen der meistgelesenen Blogs zum Thema Autismus im deutschsprachigen Raum.

Marlies Hübner hat außerdem das sehr lesenswerte Buch „VERSTÖRUNGSTHEORIEN - Die Memoiren einer Autistin, gefunden in der Badewanne“ geschrieben. Sie können es beim sozialen Buchshop BmitW (Bücher mit Wirkung) bestellen, der Vereine und gesellschaftliche Projekte unterstützt.

Alle Kolumnen von Marlies Hübner auf ROLLINGPLANET
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ROLLINGPLANET ist seit 2012 Deutschlands Onlinemagazin für Menschen mit Behinderung und alle anderen. ROLLINGPLANET ist ein Non-Profit-Projekt, realisiert vom Verein Menschen, Medien und Inklusion e.V., München. Mehr über unser Team erfahren Sie hier.

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