Unsere Kolumnisten schreiben unabhängig von ROLLINGPLANET. Ihre Meinung kann, muss aber nicht die der Redaktion sein.
Hamburgs Hauptbahnhof ist unübersichtlich: Täglich nutzen ihn 500.000 Menschen. Es gibt 14 Gleise, dazu die Stationen der vier U-Bahn-Linien. Ich behalte den Überblick dank der weißen Leitstreifen. Unterschiedliche Boden-Indikatoren weisen den Weg. Mit meinem Stock kann ich sie ertasten. Rillen- und Noppenplatten warnen vor Bahnsteigkanten und Treppen, leiten durch die Wandelhalle und führen zum gewünschten Gleis. Gerade in der großen Halle ist es schwer, Geräusche exakt zu orten. Auch kann ich mich nicht an Wänden orientieren, da hier Bäcker, Fahrkarten-Automaten und Menschenschlangen sind.
Ein Bodenindikator ist ein Bodenelement mit einem hohen taktilen und visuellen Kontrast zum angrenzenden Bodenbelag. Blinde und sehbehinderte Menschen können die taktilen Informationen nutzen, indem sie diese mit dem Langstock erkennen. Durch den visuellen Kontrast sind sie auch für Personen mit Sehbehinderungen eine klare Orientierungshilfe. Bodenindikatoren erfüllen eine Informationsfunktion, sie leiten, warnen vor Gefahrenstellen und übermitteln weitere Informationen. Die beiden Grundstrukturen von Bodenindikatoren sind Rippen und Noppen.
Wo sind die Leitstreifen?
Die Leitstreifen sind ein Segen. Sie sind aber häufig versperrt. Menschen stehen plaudernd auf ihnen, Gepäck und Kinderwagen werden darauf abgestellt. Für mich ist das ein Problem. Habe ich den Streifen einmal verloren, um einem Hindernis auszuweichen, ist es nicht immer möglich, ihn in der wuseligen Bahnhofshalle wiederzufinden. Außerdem bin ich darauf angewiesen, die sogenannten Abzweigefelder mitzubekommen. Diese zähle ich, um zum richtigen Bahnsteig zu gelangen.
Immer wieder weisen die Organisationen der blinden und sehbehinderten Menschen auf die Notwendigkeit der Leitstreifen hin. So führte der Bayerische Blinden- und Sehbehindertenbund bereits 2016 eine Aktion am Münchener Hauptbahnhof durch. Blinde Aktivistinnen und Aktivisten verteilten hierbei Postkarten an sehende Passanten, die über die Funktion der Boden-Indikatoren aufklärten. Das Motto sprach mir aus dem Herzen: „Bitte Weg frei!“ Kürzlich veröffentlichte wiederum der Hamburger Verkehrsverbund, unterstützt durch den Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg, ein Video zum Thema.
Es bleibt zu hoffen, dass Infokampagnen wie diese dazu beitragen, dass zukünftig seltener Koffer, Fahrräder, E-Roller und Menschen auf den Leitstreifen stehen, sondern stattdessen der Weg frei bleibt – für mehr Unabhängigkeit, Sicherheit und Barrierefreiheit für Blinde und Sehbehinderte.
(Dieser Text erschien zuerst im Blog von Heiko Kunert und wurde für ROLLINGPLANET ergänzt und aktualisiert.)
Heiko Kunert (45) ist Geschäftsführer des Hamburger Blinden- und Sehbehindertenvereins. Er ist seit seinem sieben Lebensjahr blind, engagiert sich für eine inklusive und barrierefreie Gesellschaft und scheibt auf heikos.blog über Blindheit und das Leben.
Alle Kolumnen von Heiko Kunert auf ROLLINGPLANET

Neueste Kommentare