Auch auf dem ROLLINGPLANET vergeht die Zeit rasend schnell. In unserer Rubrik „Best of“ veröffentlichen wir regelmäßig Beiträge, die schon einige Jahre alt sind – aber die wir immer noch lesenswert finden oder/und die über ein wichtiges Thema oder Ereignis berichten. Dieser Beitrag erschien erstmals am 4. Januar 2012.
Nachwachsende Extremitäten
„Einem Patienten waren innerhalb von 2 Jahren alle vier Extremitäten amputiert worden. Dieses stand in Klartext auf dem Krankenschein“, erinnert sich ein Hausarzt: „Jedes Quartal bekam ich eine Anfrage von der Krankenkasse, ob noch weiter eine häusliche Pflege erforderlich sei. Ich habe dann ein Foto von dem Patienten gemacht, wie er alle Stümpfe von sich streckt. Dieses habe ich der “kranken Kasse” geschickt mit dem Kommentar, mir ist nicht bekannt, dass beim Menschen Extremitäten nachwachsen. Ab dann kamen keine Anfragen mehr zu diesem Patienten.“
Es wird beantragt, einen Antrag stellen zu dürfen
Genauso unglaublich: Um einen Patienten in die Reha-Klinik zu schicken, müssen Ärzte einen Antrag ausfüllen – aber nur, um überhaupt das eigentliche Antragsformular zu erhalten, auf dem Sie dann den Antrag stellen können. Das darf aber nicht jeder ausfüllen, sondern die Ärzte müssen erst einen 20-stündigen Weiterbildungskurs absolvieren, bevor sie das Formular ausfüllen dürfen.
84 Seiten Richtlinien
Ein anderer Arzt: „Wenn ein HNO-Arzt Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie verschreiben will, muss er die 84seitigen Heilmittel-Richtlinien vom 1.7.2004 mit allen Ergänzungslieferungen im besten Behördendeutsch kennen, verstehen und berücksichtigen. Für dieses Meisterwerk hat der Verantwortliche eine Belohnung verdient. Ich schlage vor, dass er zum ‚König der Bürokraten‘ ernannt wird.“
Blankoformular in den Sarg
„In Bayern müssen Ärzte nach der Leichenschau einen Formularsatz in einem verschlossenen Umschlag in den Sarg einlegen. Das klingt soweit vernünftig – aber: Das Formular muss nicht ausgefüllt werden, sondern wird in jeden Sarg blanko ohne den Namen des Verstorbenen eingelegt für den Fall, dass eine Obduktion erfolgt.“
Kein Abführ-Klistier ohne Nachfrage
„Es ist nicht möglich, bei der häuslichen Krankenpflege eines schwerstbetroffenen Patienten auf dem üblichen Formular den Schwestern zu erlauben, bei Bedarf ein Abführ-Klistier zu verabreichen“, klagt ein Hausarzt im Hippokranet. Zunächst muss die Krankenkassen-Anfrage beantwortet werden: „Welche Maßnahmen haben sie bisher ergriffen, um den Klistier-Einsatz zu vermeiden?“.
Bestätigung, dass ein Säugling sich nicht versorgen kann
Kinder, die mit Ihren Müttern zur Kur sollen, brauchen immer eine Bescheinigung, damit diese mitfahren können: „Kevin muss die Mutter begleiten, da er sich als Säugling zuhause nicht alleine versorgen kann“, müsse er schreiben, sagt ein Arzt genervt: „Wenn es der Arzt schreibt, wird es vielleicht auch dem Sachbearbeiter klar!“
Wenn die Kasse Zeit schinden will
Wenn nach einer bestimmten schweren Schulterverletzung eine spezielle Schiene sofort nach der Behandlung erforderlich wäre, so stellt sich die Kassenbürokratie auch gerne quer: Regelhaft frage dann der Medizinische Dienst der Kassen an und fordert umfangreiche Unterlagen, schreibt ein Arzt. Nach vier bis sechs Wochen erfolgt eine weitere Anfrage, so dass die eigentliche Behandlung nach acht bis zehn Wochen beginnen könnte – so spät ist sie dann aber absolut sinnlos. „Ich empfehle diesen Patienten dann den Wechsel der Krankenkasse“, schreibt er.
Ein Bindestrich macht alles zunichte
Gleichzeitig werden Ärzte permanent mit Rundschreiben ihrer kassenärztlichen Vereinigung eingedeckt. Ein Beispiel gefällig? „Das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe im Rahmen der häuslichen Krankenpflege darf ab 01.07.2011 in der Verordnung nicht mehr mit Bindestrich, sondern muß mit einem Spiegelstrich getrennt verordnet werden“. Steht also im Rezept ein Bindestrich statt eines Spiegelstrichs, so ist es nicht mehr gültig. Zur Erklärung: Ein Bindestrich ist kurz (-), ein Spiegelstrich lang (–).
Bürokratie gelungen, Patient (fast) tot
Für einen dringend benötigten Blasenkatheter bei einem 91-jährigen Mann, der nicht mehr richtig Wasser lassen konnte, musste ein Urologe erst einen Kostenvoranschlag einreichen und auf eine schriftliche Genehmigung warten: „Auch nach meiner telefonischen Rücksprache mit dem zuständigen Sachbearbeiter der BKK XYZ wurde nicht von diesem Vorgehen abgewichen, obwohl ich drauf hingewiesen hatte, dass der Patient sich bereits in der Praxis befand“, schildert der Arzt den Vorgang.
So entsorgt man einen Versicherten
„Also: Hilfsmittelverordnung ausgestellt, Kostenvoranschlag der Apotheke beigelegt und den Sanitätern mitgegeben, Patient unverrichteter Dinge zurück ins Altenheim (der Krankentransport kostet ja nichts), das Altenheim schickte die Verordnung und den Kostenvoranschlag an die BKK XYZ, dort wurde genehmigt, die BKK schickte die Verordnung zurück ans Altenheim, dieses schickte die Verordnung an die Apotheke, diese lieferte den Verweilkatheter an das Altenheim, das Altenheim vereinbarte einen neuen Termin in der Praxis, und der Patient wurde wieder liegend mit erneutem Krankentransport in die Praxis gebracht“, schreibt er weiter: „Gesamtdauer der Aktion: zehn Tage. Kosten des Verweilkatheters ca. 20 Euro“. Die Angehörigen des Patienten hätten ihn danach bei einer anderen Kasse versichert und die ursprünglich zuständige Kasse hatte einen teuren Patienten weniger: „Ein Schelm, der Böses dabei denkt“.
(RP/PM)

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